Alterssicherung der Landwirte – und die Hofabgabepflicht

Die Koppelung einer Altersrente an die Abgabe eines landwirtschaftlichen Hofs greift faktisch in die Eigentumsfreiheit des Art. 14 GG ein.

Die Pflicht zur Hofabgabe wird verfassungswidrig, wenn diese in unzumutbarer Weise Einkünfte entzieht, die zur Ergänzung einer als Teilsicherung ausgestalteten Rente notwendig sind.

Die Gewährung einer Rente an den einen Ehepartner darf nicht von der Entscheidung des anderen Ehepartners über die Abgabe des Hofs abhängig gemacht werden.

Mit dieser Begründung hat jetzt das Bundesverfassungsgericht die einschlägigen Vorschriften des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) für verfassungswidrig erklärt, den Verfassungsbeschwerden eines Landwirtes1 und der Ehefrau eines Landwirtes2 stattgegeben und die Verfahren unter Aufhebung der fachgerichtlichen Entscheidungen des Bundessozialgerichts3 und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen4 an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.

§ 11 Absatz 1 Nummer 3 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte in der Fassung des Artikels 17 Nummer 6 des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) vom 20.04.20075 ist mit Artikel 14 Absatz 1 des Grundgesetzes und in Verbindung mit § 21 Absatz 9 Satz 4 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte in der Fassung des Artikels 7 Nummer 1a des Dritten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 05.08.20106 und in der Fassung des Artikels 4 Nummer 5 des Gesetzes zur Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (LSV-Neuordnungsgesetz – LSV-NOG) vom 12.04.20127 mit Artikel 6 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes unvereinbar.

Gesetzliche Regelung der landwirtschaftlichen Alterssicherung[↑]

Die Alterssicherung der Landwirte ist die berufsständische Altersvorsorge der Landwirtinnen und Landwirte in Deutschland. Sie ist Teil der gesetzlichen Rentenversicherung. Gesetzliche Grundlage ist das Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) vom 29.07.19948. Gegenüber anderen rentenversicherungsrechtlichen Regelungen ist die das Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte prägende Besonderheit die Notwendigkeit der Hofabgabe als eine der Voraussetzungen eines Rentenanspruchs.

Nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte sind Landwirte (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ALG) und mitarbeitende Familienangehörige (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ALG) versicherungspflichtig. Landwirt ist, wer als Unternehmer ein auf Bodenbewirtschaftung beruhendes Unternehmen betreibt, das die Mindestgröße nach § 1 Abs. 5 ALG erreicht (§ 1 Abs. 2 Satz 1 ALG).

Der Ehegatte eines Landwirts gilt als Landwirt, wenn beide Ehegatten nicht dauernd getrennt leben und der Ehegatte nicht voll erwerbsgemindert nach § 43 Abs. 2 SGB VI ist; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 1 Abs. 3 Satz 1 ALG).

Nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte ist auf Antrag bei Vorliegen einer der in § 3 Abs. 1 ALG genannten Voraussetzungen eine Befreiung von der Versicherungspflicht möglich. In der Praxis ist vor allem die Möglichkeit der Befreiung von Bedeutung, wenn der Landwirt regelmäßig Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, vergleichbares Einkommen oder Erwerbsersatzeinkommen bezieht, das ohne Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft jährlich 4.800 Euro überschreitet (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG).

Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Regelaltersrente ergeben sich aus § 11 ALG.

§ 11 Regelaltersrente

(1) Landwirte haben Anspruch auf Regelaltersrente, wenn

  1. sie die Regelaltersgrenze erreicht haben,
  2. sie die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben und
  3. das Unternehmen der Landwirtschaft abgegeben ist.

(2) Mitarbeitende Familienangehörige haben Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie

  1. die Regelaltersgrenze erreicht haben,
  2. die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben und
  3. nicht Landwirt sind.

(3) Die Regelaltersgrenze wird mit Vollendung des 67. Lebensjahres erreicht.

Von der Abgabe des Unternehmens der Landwirtschaft (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG) ist auch ein Anspruch auf vorzeitige Altersrente (§ 12 Abs. 1 und 2 ALG), auf Rente wegen Erwerbsminderung (§ 13 Abs. 1 Nr. 4 ALG) und auf Witwen- oder Witwerrente (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 ALG) abhängig.

§ 21 ALG normiert, unter welchen Voraussetzungen ein Unternehmen der Landwirtschaft abgegeben ist oder als abgegeben gilt. Seit seinem Inkrafttreten am 1.01.1995 wurde § 21 ALG mehrfach geändert. In den vorliegenden Verfahren sind die Entscheidungen des Sozialversicherungsträgers in den Jahren 2010 bis 2012 und die fachgerichtlichen Entscheidungen in den Jahren 2012 bis 2014 ergangen. Maßgeblich ist deshalb § 21 ALG in der Fassung des Art. 7 Nr. 1a des Dritten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 05.08.20109 und in der Fassung des Art. 4 Nr. 5 des Gesetzes zur Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (LSV-Neuordnungsgesetz – LSV-NOG) vom 12.04.201210. Dieser lautet in der Fassung von 2010:

§ 21 Abgabe des Unternehmens

(1) Ein Unternehmen der Landwirtschaft ist abgegeben, wenn das Eigentum an den landwirtschaftlich genutzten Flächen mit Ausnahme stillgelegter Flächen an einen Dritten übergegangen ist.

(2) 1 Ein Unternehmen der Landwirtschaft gilt als abgegeben, wenn

  1. die landwirtschaftlich genutzten Flächen verpachtet sind,
  2. diese mit einem Nießbrauch zugunsten Dritter belastet sind oder
  3. in ähnlicher Weise die landwirtschaftliche Nutzung auf eigenes Risiko auf längere Dauer unmöglich gemacht ist.

2 (…)

(3) 1 Ein Unternehmen der Binnenfischerei ist abgegeben, wenn der Unternehmer mit seinem Unternehmen das Fischereiausübungsrecht aufgibt. 2 Ein Unternehmen der Imkerei und Wanderschäferei ist abgegeben, wenn der Unternehmer das Unternehmen aufgibt, übereignet oder die Nutzung für einen Zeitraum von mindestens neun Jahren schriftlich übertragen hat. 3 Für die Übertragung der Nutzung gilt Absatz 2 Satz 3 entsprechend.

(4) 1 Der Abgabe steht es gleich, wenn die landwirtschaftlich genutzten Flächen stillgelegt sind. 2 Flächen gelten als stillgelegt, wenn die landwirtschaftliche Nutzung ruht und nicht die Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 vorliegen.

(5) 1 Das Unternehmen gilt auch dann als abgegeben, wenn

  1. die landwirtschaftlich genutzte Fläche ganz oder teilweise erstmals aufgeforstet worden ist,
  2. die Größe der aufgeforsteten Fläche und die gewählte Baumart und Pflanzenzahl eine ordnungsmäßige forstwirtschaftliche Nutzung als Hochwald zuläßt,
  3. die Erstaufforstung agrar- oder infrastrukturellen Zielen sowie den bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften entspricht und landeskulturell unbedenklich ist,
  4. durch die Erstaufforstung die Nutzung der angrenzenden Flächen nicht unzumutbar beeinträchtigt wird und
  5. der Wirtschaftswert der erstaufgeforsteten Fläche einschließlich des nicht abgegebenen Teils des Unternehmens das Einfache der Mindestgröße nicht erreicht.

    2 (…)

    (6) 1 Eine landwirtschaftlich genutzte Fläche, die Eigentum des Landwirts ist, gilt ferner als abgegeben, wenn eine Ermächtigung zur Landveräußerung und Landverpachtung entsprechend den in den Absätzen 1 und 2 genannten Voraussetzungen zum ortsüblichen, angemessenen Preis erteilt ist. 2 (…)

    (7) 1 Ein Unternehmen der Landwirtschaft gilt auch dann als abgegeben, wenn der Wirtschaftswert des nicht abgegebenen Teils des Unternehmens ohne Berücksichtigung erstaufgeforsteter Flächen 25 vom Hundert der nach § 1 Abs. 5 festgelegten Mindestgröße nicht überschreitet und der Wirtschaftswert des nicht abgegebenen Teils des Unternehmens einschließlich erstaufgeforsteter Flächen das Einfache der Mindestgröße nicht erreicht. 2 Satz 1 gilt entsprechend für ein Unternehmen der Imkerei, der Binnenfischerei und der Wanderschäferei. 3

    (8) (…)

    (9) 1 Gibt ein Landwirt nach § 1 Abs. 2 landwirtschaftlich genutzte Flächen an den Ehegatten ab, gelten die Voraussetzungen der Abgabe des Unternehmens nur als erfüllt, wenn der die Flächen abgebende Ehegatte aus dem Unternehmen ausgeschieden ist und

    1. unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert nach § 43 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ist oder
    2. der übernehmende Ehegatte ein Lebensalter erreicht hat, ab dem er eine Altersrente vorzeitig nach § 12 Abs. 1 in Anspruch nehmen kann.

    2 Satz 1 gilt nur solange, bis auch der übernehmende Ehegatte die Regelaltersgrenze erreicht hat oder erwerbsgemindert nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ist. 3 Gilt einer der Ehegatten unbeschadet seiner Erwerbsfähigkeit als Landwirt nach § 1 Abs. 3, gilt für diesen Ehegatten die Abgabe als erfolgt, wenn er

    1. unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert nach § 43 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ist oder
    2. die Regelaltersgrenze erreicht hat und vor diesem Zeitpunkt für 60 Kalendermonate ununterbrochen als Landwirt nach § 1 Abs. 3 galt.

    4 Satz 2 gilt entsprechend.

Nr. 5 des Gesetzes zur Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (LSV-Neuordnungsgesetz – LSV-NOG) vom 12.04.201210 hat, um den Veränderungen in der Landwirtschaft Rechnung zu tragen, die Hofabgabe als Voraussetzung für den Bezug einer Rente aus der Alterssicherung der Landwirte modifiziert11. Insbesondere die Abgabe zwischen Ehegatten in § 21 Abs. 9 ALG wurde durch den Verzicht auf eine Altersgrenze erleichtert12. § 21 Abs. 9 ALG hatte nunmehr folgenden Wortlaut:

(9) 1 Gibt ein Ehegatte landwirtschaftlich genutzte Flächen an den anderen Ehegatten ab, gelten die Voraussetzungen der Abgabe des Unternehmens als erfüllt, wenn er

  1. unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert nach § 43 Absatz 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ist,
  2. die Regelaltersgrenze erreicht hat oder
  3. die Voraussetzungen für den Bezug einer vorzeitigen Altersrente nach § 12 Absatz 2 erfüllt.

2 Die Abgabe wirkt nur so lange, bis auch der übernehmende Ehegatte die Regelaltersgrenze erreicht hat oder erwerbsgemindert nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ist. 3 Für den anderen Ehegatten gilt die Abgabe als erfolgt, wenn die Voraussetzungen des Satzes 1 erfüllt sind. 4 Satz 2 gilt entsprechend.

Der – wie die beschwerdeführende Ehefrau in dem Verfahren 1 BvR 97/14 – gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 ALG versicherungspflichtige Ehegatte des Landwirts hatte nach der bis zum 31.12 2015 geltenden einfachgesetzlichen Rechtslage zwar auch ohne die Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens einen Rentenanspruch. Dieser war jedoch aufgrund der nach § 21 Abs. 9 Satz 4 ALG angeordneten entsprechenden Anwendbarkeit des § 21 Abs. 9 Satz 2 ALG bis zu dem Zeitpunkt begrenzt, zu dem der andere Ehegatte, also der eigentliche Landwirt, die Regelaltersgrenze erreicht hatte oder voll erwerbsgemindert wurde. Ab diesem Zeitpunkt war der Rentenanspruch des mitversicherten Ehegatten von der Hofabgabe durch den anderen Ehegatten, dem eigentlichen Landwirt, abhängig.

Mit Wirkung zum 1.01.2016 änderte Art. 3 Nr. 3 d)) des Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und weiterer Vorschriften vom 21.12 201513 Absatz 9 des § 21 ALG. Dieser hat seit dem 1.01.2016 folgenden Wortlaut:

(9) 1 Gibt ein Ehegatte landwirtschaftlich genutzte Flächen an den anderen Ehegatten ab, gelten die Voraussetzungen der Abgabe des Unternehmens als erfüllt, wenn er

  1. unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert nach § 43 Absatz 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ist,
  2. die Regelaltersgrenze erreicht hat oder
  3. die Voraussetzungen für den Bezug einer vorzeitigen Altersrente nach § 12 Absatz 2 erfüllt.

2 Für den anderen Ehegatten gilt die Abgabe als erfolgt, wenn die Voraussetzungen des Satzes 1 erfüllt sind.

Durch die Streichung der bisherigen Sätze 2 und 4 des § 21 Abs. 9 ALG wurden für den mitversicherten Ehegatten eines Landwirts die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Rente erleichtert. Der Rentenanspruch des mitversicherten Ehegatten ist nun nicht mehr von der Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens durch den anderen Ehegatten abhängig.

Die Alterssicherung der Landwirte wird durch Beiträge, durch Beitragszuschüsse und durch eine Defizitdeckung des Bundes finanziert. Es wird ein einheitlicher Beitrag erhoben (§ 68 ALG). Im Jahr 2016 betrug der monatliche Beitrag in den alten Bundesländern 236 Euro und im Beitrittsgebiet 206 Euro14. Der Beitrag ist im Jahr 2017 auf monatlich 241 Euro beziehungsweise auf 216 Euro gestiegen15. Einkommensschwächere Landwirte erhalten einen Zuschuss (§ 32 Abs. 1 ALG). Der Bund trägt den Unterschiedsbetrag zwischen den Einnahmen und den Ausgaben der Alterssicherung der Landwirte eines Kalenderjahres (§ 78 ALG). Der Bundeszuschuss betrug im Jahr 2016 rund 2, 2 Mrd. Euro, womit etwa 79 % der Ausgaben der Alterssicherung der Landwirte durch Steuermittel finanziert wurden16.

Die Pflicht zur Hofabgabe als Eingriff in die Eigentumsfreiheit[↑]

Die Pflicht zur Hofabgabe als Voraussetzung eines Rentenanspruchs nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte erweist sich als Eingriff in die grundrechtlich geschützte Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG). Dieser Eingriff ist nur nach den sich aus den weiteren Entscheidungsgründen ergebenden Maßgaben gerechtfertigt.

Das nach Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Eigentum ist von besonderer Bedeutung für den sozialen Rechtsstaat17. Der Eigentumsgarantie kommt im Gefüge der Grundrechte insbesondere die Aufgabe zu, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern. Das verfassungsrechtlich gewährleistete Eigentum ist durch Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Eigentumsgegenstand gekennzeichnet18. Es soll als Grundlage privater Initiative und in eigenverantwortlichem privatem Interesse von Nutzen sein19. Dabei genießt es einen besonders ausgeprägten Schutz, soweit es um die Sicherung der persönlichen Freiheit des Einzelnen geht20. Zugleich soll der Gebrauch des Eigentums dem Wohl der Allgemeinheit dienen (Art. 14 Abs. 2 GG)21.

Vom Schutz des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst ist das zivilrechtliche Sacheigentum, dessen Besitz und die Möglichkeit, es zu nutzen22. In den vorliegenden Verfahren kann sich jedoch nur der Beschwerdeführer in dem Verfahren 1 BvR 2392/14 auf das durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Eigentum an dem landwirtschaftlichen Unternehmen berufen. Die Beschwerdeführerin in dem Verfahren 1 BvR 97/14 ist selbst nicht Eigentümerin des landwirtschaftlichen Unternehmens. Alleineigentümer des landwirtschaftlichen Unternehmens ist ihr Ehegatte.

Abs. 1 GG schützt auch Rentenansprüche und Rentenanwartschaften23. Für Rentenansprüche und Rentenanwartschaften, die im Geltungsbereich des Grundgesetzes erworben worden sind, ist der Eigentumsschutz seit langem anerkannt. Die gesetzlich begründeten rentenversicherungsrechtlichen Positionen erfüllen eine soziale Funktion, deren Schutz gerade Aufgabe der Eigentumsgarantie ist, und weisen die konstitutiven Merkmale des Eigentums im Sinne des Art. 14 GG auf24. Rentenansprüche und Rentenanwartschaften tragen als vermögenswerte Güter die wesentlichen Merkmale verfassungsrechtlich geschützten Eigentums. Sie sind privaten Rechtsträgern ausschließlich zugeordnet und zu ihrem persönlichen Nutzen bestimmt. Auch können diese im Rahmen der rechtlichen Ausgestaltung wie Eigentümer darüber verfügen. Ihr Umfang wird durch die persönliche Leistung der Versicherten mitbestimmt, wie sie vor allem in den Beitragszahlungen Ausdruck findet. Die Berechtigung steht also im Zusammenhang mit einer eigenen Leistung, die als besonderer Schutzgrund für die Eigentumsposition anerkannt ist. Sie beruht damit nicht allein auf einem Anspruch, den der Staat in Erfüllung einer Fürsorgepflicht einräumt und der mangels einer Leistung des Begünstigten nicht am Eigentumsschutz teilnimmt25.

In durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rentenanwartschaften oder Rentenansprüche wird nicht eingegriffen. Die Koppelung des Rentenanspruchs nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte an die Abgabe des Unternehmens der Landwirtschaft (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG) ist demgegenüber ein Eingriff in das Sacheigentum des Beschwerdeführers im Verfahren 1 BvR 2392/14.

Durch die Statuierung der Hofabgabe als Voraussetzung eines Rentenanspruchs nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG) wird nicht in die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Rentenanwartschaften oder Rentenansprüche der Beschwerdeführer eingegriffen. Denn § 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG schafft erst die Voraussetzungen für die Entstehung von Anwartschaften und Ansprüchen auf eine Regelaltersrente im Bereich der Alterssicherung der Landwirte und kann somit in Bezug auf diese Rechtspositionen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht verletzen26.

Hingegen liegt ein Eingriff in das Sacheigentum des Beschwerdeführers27 in dem Verfahren 1 BvR 2392/14 an dem landwirtschaftlichen Unternehmen vor. Denn ein Grundrechtseingriff kann nicht nur in einem rechtsförmigen Vorgang liegen, der unmittelbar und gezielt durch ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweises durchzusetzendes Gebot oder Verbot, also imperativ, zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt28. Als Beeinträchtigung eines Grundrechts können vielmehr staatliche Maßnahmen anzusehen sein, die mittelbar faktisch eine eingriffsgleiche Wirkung entfalten29.

Eine solche mittelbar faktische Wirkung entfaltet die Hofabgabeklausel. Zwar wird durch das Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte dem Landwirt bei Erfüllung der weiteren Rentenvoraussetzungen gemäß § 11 Abs. 1 ALG (Erreichen der Regelaltersgrenze und Erfüllen der Wartezeit) nicht durch ein staatliches Handeln das Eigentum an seinem landwirtschaftlichen Unternehmen entzogen. Ein Rentenanspruch steht dem Landwirt aber nur dann zu, wenn er das landwirtschaftliche Unternehmen entsprechend einer der in § 21 ALG genannten Alternativen abgibt. Insofern wird auf den Landwirt ein mittelbarer faktischer Druck zur Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens erzeugt. Der Landwirt kann sich zwar nach wie vor frei entscheiden, ob er das landwirtschaftliche Unternehmen abgibt oder weiterführt; aber nur im Falle der Abgabe erhält er eine Rente. Nur wenn eine Rente bewilligt wird, war es jedoch für den Landwirt letztendlich wirtschaftlich sinnvoll, jahrzehntelang Beiträge zur Alterssicherung der Landwirte zu leisten. Bei der Nichtabgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens erhält er für diese Beitragsleistung keine Gegenleistung. Die geleisteten Beiträge gehen vollständig verloren. Ein Anspruch auf Rückzahlung der Beiträge hat derjenige Landwirt, der keine Rente in Anspruch nimmt, nicht. Die Wirkung des Verlustes der geleisteten Beiträge bei der Nichtabgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens wird dadurch verstärkt, dass der Landwirt nicht frei entscheiden kann, ob er Beiträge zur landwirtschaftlichen Alterssicherung leistet. Denn als Landwirt ist er gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 ALG grundsätzlich in der landwirtschaftlichen Alterssicherung versicherungs- und beitragspflichtig.

Schon mangels einer Güterbeschaffung zugunsten des Staates oder eines Dritten zum Wohl der Allgemeinheit30 liegt hierin keine Enteignung, sondern eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.

Diese Inhalts- und Schrankenbestimmung ist nur nach den folgenden Maßgaben gerechtfertigt.

Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG werden Inhalt und Schranken des Eigentums durch Gesetz bestimmt. Ein solches Gesetz ist § 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG, wonach ein Anspruch auf eine Regelaltersrente nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte nur dann besteht, wenn das Unternehmen der Landwirtschaft abgegeben ist. Bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums unterliegt der Gesetzgeber besonderen verfassungsrechtlichen Schranken31. Der Eingriff im Rahmen der Inhalts- und Schrankenbestimmung in die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechte muss durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sein32.

Einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Eingriffs steht hier nicht bereits ein Verstoß des Gesetzgebers gegen eine ihm obliegende Pflicht entgegen, die weitere Entwicklung seiner Gesetzgebung zu beobachten und zu revidieren, falls sich erweist, dass die der Gesetzgebung zugrunde liegenden Annahmen unzutreffend sind.

Aus dem Grundgesetz ergibt sich keine allgemeine, den Gesetzgeber treffende Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht, deren Verletzung selbständig im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gerügt werden kann. Für die Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Hoheitsaktes kommt es allein auf die objektive Verfassungsrechtslage an. Nachbesserungspflichtig ist der Gesetzgeber, sofern die Änderung einer zunächst verfassungskonform getroffenen Regelung erforderlich ist, um diese unter veränderten tatsächlichen Bedingungen oder angesichts veränderter Erkenntnislagen mit der Verfassung in Einklang zu halten33. Der Gesetzgeber hat aber keine neben den normierten Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren bestehende Verfahrenspflicht zu erfüllen, die für sich genommen justitiabel wäre. Er schuldet lediglich das verfassungskonforme Ergebnis34.

Die Verfassungsbeschwerden verkennen demnach den verfassungsrechtlichen Maßstab, soweit sie bereits aus einer Verletzung von Beobachtungspflichten die Verfassungswidrigkeit der Hofabgabeklausel zu begründen suchen.

Auch die von den Beschwerdeführern geltend gemachten Vollzugsdefizite stehen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung nicht entgegen. Die Beschwerdeführer haben insofern ausgeführt, 30 bis 40% der Hofabgaben würden nur zum Schein durchgeführt, weil der abgebende landwirtschaftliche Unternehmer in diesen Fällen weiterhin auf dem Hof tätig sei und das unternehmerische Risiko nicht auf einen Nachfolger übertragen werde. Insofern beachten die Beschwerdeführer jedoch nicht hinreichend, dass das Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte dem abgebenden Landwirt grundsätzlich nicht verbietet, weiter in dem landwirtschaftlichen Unternehmen tätig zu werden. Entscheidend für den Vollzug der Hofabgabe ist der Übergang des unternehmerischen Risikos. Nur eine Scheinübertragung dieses unternehmerischen Risikos würde den Sinn der Hofabgabe nicht erfüllen und wäre nach § 117 Abs. 1 BGB aber auch nichtig. Eine lediglich scheinbare Übertragung dieses Risikos im vorgetragenen Umfang ist jedoch nicht erkennbar. Im Übrigen verletzt eine gesetzliche Regelung, gegen die in der Praxis in verfassungswidriger Weise verstoßen wird, nur dann auch selbst das Grundgesetz, wenn die verfassungswidrige Praxis auf die Vorschrift selbst zurückzuführen, also Ausdruck eines strukturbedingten, zu dieser Praxis führenden normativen Regelungsdefizits ist35.

Die Hofabgabe als Voraussetzung eines Rentenanspruchs nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte entspricht jedoch nur mit folgenden Maßgaben dem Verhältnismäßigkeitsprinzip.

Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip muss der Eingriff zur Erreichung eines legitimen Eingriffsziels geeignet sein und darf nicht weiter gehen, als es die Gemeinwohlbelange erfordern; ferner müssen Eingriffszweck und Eingriffsintensität in einem angemessenen Verhältnis stehen36.

Der Gesetzgeber verfolgt mit der Hofabgabeklausel mehrere legitime, agrarstrukturelle Ziele:

Ein Ziel ist die Förderung der frühzeitigen Hofübergabe an Jüngere, um hierdurch eine Senkung des durchschnittlichen Lebensalters der Betriebsleiterinnen oder Betriebsleiter zu bewirken. Die Hofabgabeklausel will somit einen Beitrag zur Übergabe von landwirtschaftlichen Unternehmen zu einem wirtschaftlich sinnvollen Zeitpunkt an jüngere Kräfte leisten37. Das Bundeministerium für Arbeit und Soziales hat in seiner Stellungnahme ausgeführt, nach einem EU-Strukturvergleich aus dem Jahr 2013 seien 6 % der Betriebsleiter von landwirtschaftlichen Unternehmen in der Europäischen Union jünger als 35 Jahre und 31 % älter als 65 Jahre. In Deutschland seien dagegen 6, 8 % jünger als 35 Jahre und 6, 5 % älter als 65 Jahre. Nach Ansicht des Bundes der Deutschen Landjugend (BDL) e.V. sichert die Hofabgabeklausel die Zukunft des landwirtschaftlichen Nachwuchses, da die Übernahme von unternehmerischer Verantwortung bereits in jungen Jahren Voraussetzung dafür sei, dass Junglandwirte ihre Betriebe erfolgreich entwickeln und die Einkommensdisparität im Vergleich zu anderen Berufen abbauen könnten.

Im Weiteren hat die Hofabgabeverpflichtung nach den Ausführungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales eine wichtige Funktion für den Bodenmarkt. Dies deckt sich mit der Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL) e.V., wonach die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Flächen deutlich höher sei als die Anzahl der infolge der Hofabgabeklausel frei werdenden Flächen. Bestätigt werde dies durch den starken Anstieg der Pachtpreise in den letzten zehn Jahren.

Darüber hinaus verfolgt die Hofabgabeklausel das Ziel der Verbesserung der Betriebsstruktur durch die Schaffung größerer Entwicklungschancen für Wachstumsbetriebe. Diese können ihren Aufstockungsbedarf aus den frei werdenden landwirtschaftlichen Nutzflächen früher befriedigen, als dies ohne ein Abgabeerfordernis möglich wäre38.

Alle drei Ziele sind legitim. Zur Erreichung dieser Ziele ist die Hofabgabeklausel nicht von vornherein untauglich39. Verfassungsrechtlich genügt für die Eignung der Regelung die Möglichkeit, dass der erstrebte Erfolg gefördert werden kann, dass also die Möglichkeit der Zweckerreichung besteht40.

Das Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte hat zwar gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG die Hofabgabe lediglich als Voraussetzung eines Rentenanspruchs normiert; eine Pflicht zur Hofabgabe besteht nicht. Die fehlende Durchsetzbarkeit steht jedoch der Geeignetheit des Gesetzes nicht entgegen. Im Fall der Nichtabgabe des Unternehmens entfällt die Gegenleistung in Form einer Rente für jahrelange Beitragsleistungen. Der Landwirt unterliegt einem faktischen Zwang zur Hofabgabe; die Norm ist geeignet, dieses Ziel zu fördern.

Das Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte fördert unmittelbar nur die Abgabe und nicht die nach dem Gesetzeszweck eigentlich angestrebte Übergabe des landwirtschaftlichen Unternehmens als Voraussetzung eines Anspruchs auf Regelaltersrente. Diejenigen Formen, in denen die Hofabgabe vollzogen werden kann, sind in § 21 ALG normiert. Demnach ist nach dem Grundtatbestand des § 21 Abs. 1 ALG ein Unternehmen der Landwirtschaft abgegeben, wenn das Eigentum an den landwirtschaftlich genutzten Flächen mit Ausnahme stillgelegter Flächen an einen Dritten übergegangen ist. Einem Eigentumsübergang gleichgestellt ist nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 ALG die Verpachtung der genutzten Flächen über einen Zeitraum von mindestens neun Jahren. Nach § 21 Abs. 4 Satz 1 ALG steht es einer Abgabe gleich, wenn die landwirtschaftlich genutzten Flächen stillgelegt sind. In diesen Formen kann allein die Einstellung der landwirtschaftlichen Tätigkeit die Voraussetzung der Hofabgabe erfüllen. Nach den Ausführungen des Deutschen Bauernverbands, des Thünen-Instituts für Ländliche Räume und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erfolgt die Hofabgabe aber zu 80 % in Form der Eigentumsübertragung oder Verpachtung (31 % Verpachtung an Dritte, 25 % Eigentumsübertragung innerhalb der Familie und 24 % Verpachtung innerhalb der Familie). Die tatsächliche Vorgehensweise entspricht der Intention des Gesetzgebers, denn nach den Ausführungen des Bundeministeriums für Arbeit und Soziales ist die Alterssicherung der Landwirte nur als eine Teilsicherung konzipiert, die auf ihre Ergänzung durch die Einnahmen infolge des Verkaufs oder der Verpachtung des landwirtschaftlichen Unternehmens angelegt ist. Diejenigen zulässigen Formen der Hofabgabe, die nicht zu einer Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen durch einen Dritten führen – Herbeiführen der Unmöglichkeit der landwirtschaftlichen Nutzung (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ALG), Stilllegung (§ 21 Abs. 4 Satz 1) und Aufforstung (§ 21 Abs. 5 Satz 1 ALG), sind als Ausnahmetatbestände vorgesehen. Sie werden in der Praxis zurückhaltend gehandhabt. Damit ist die Norm insgesamt geeignet, das Ziel einer Übertragung von Höfen zu erreichen.

Die Beschwerdeführer bestreiten die Kausalität zwischen dem bereits in der Landwirtschaft erfolgten Strukturwandel und der Hofabgabeklausel. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft sei nicht durch die Hofabgabeklausel bedingt, sondern durch andere Entwicklungen, wie zum Beispiel den europapolitischen Paradigmenwechsel von einer eher protektionistischen Agrarpolitik zu einer stärker an Umwelt- und Qualitätszielen ausgerichteten Agrarpolitik. Die strukturellen Veränderungen beruhten auf dem Fortschritt neuer Technologien und auf Internationalisierungs- und Globalisierungsprozessen. Verfassungsrechtlich ist jedoch eine Mitursächlichkeit der Hofabgabeklausel für den Strukturwandel in der Landwirtschaft ausreichend. Die Auswertung einer Stichprobe bezüglich des Abgabeverhaltens des Rentenzugangs in der Alterssicherung der Landwirte im Jahr 2011 hat die positiven agrarstrukturellen Effekte der Hofabgabeklausel bestätigt, wonach wachstumswillige Betriebe landwirtschaftliche Flächen übernehmen oder pachten können; einer nachfolgenden Betriebsleitergeneration sei die volle unternehmerische Verantwortung übertragen worden38.

Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass die Hofabgabeklausel erforderlich ist. Die Erforderlichkeit ist erst dann zu verneinen, wenn ein sachlich gleichwertiges, zweifelsfrei gleich wirksames, die Grundrechtsberechtigten weniger beeinträchtigendes Mittel zur Verfügung steht, um den mit dem Gesetz verfolgten Zweck zu erreichen41. Das Bundesverfassungsgericht prüft nicht, ob der Gesetzgeber die beste Lösung für die hinter einem Gesetz stehenden Probleme gefunden hat, denn er verfügt über einen Beurteilungs- und Prognosespielraum42. Als milderes Mittel wird zwar die Einführung einer Rente mit Abschlag für diejenigen Landwirte diskutiert, die mit Ausnahme der Hofabgabe alle Voraussetzungen für die Bewilligung einer Rente erfüllen43.

Die Verpflichtung zur Hofabgabe ist jedoch nicht in allen Fällen zumutbar. Eine Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs einerseits und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe andererseits muss die Grenze der Zumutbarkeit wahren. Die Regelung darf die Betroffenen nicht übermäßig belasten44.

Die Beschwerdeführer haben vorgebracht, die mit der Hofabgabeklausel verfolgten agrarstrukturellen Zwecksetzungen stünden der sozialen Absicherungsfunktion des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte entgegen.

Das Hofabgabeerfordernis führt bei einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Landwirten und in fast der Hälfte der Fälle auch bei deren Ehegatten dazu, dass keine Rente nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte bezogen wird45. Die Hofabgabepflicht als Voraussetzung eines Rentenanspruchs erzeugt einen mittelbaren faktischen Zwang zur Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens, der in das durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Sacheigentum der Landwirte eingreift. Im Ergebnis verliert der Landwirt bei Nichtabgabe völlig seine Rente oder seinen Hof, obwohl er beide in der Regel zur Alterssicherung benötigt. Die Hofabgabepflicht belastet ihn im Alter schwer.

Das Erfordernis der Hofabgabe als Voraussetzung eines Rentenanspruchs nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte wahrt deswegen in folgenden Konstellationen nicht mehr die Grenze der Zumutbarkeit, weil das Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte keine Härtefallregelung für die Hofabgabe vorsieht.

Härtefälle entstehen vornehmlich, wenn der abgabewillige Landwirt keinen zur Hofübernahme bereiten Nachfolger findet. In diesem Fall kann der landwirtschaftliche Unternehmer die Hofabgabe nur in einer der Formen vollziehen, die nicht mit einer Einkommenserzielung verbunden sind, also durch Unmöglichmachung der landwirtschaftlichen Nutzung, Stilllegung, Aufgabe des Fischereiausübungsrechts, Aufgabe des Unternehmens der Imkerei oder Wanderschäferei oder Aufforstung. Dann fehlen ein Kaufpreis oder Pachtzins zur Sicherung des Alters und die Hofabgabepflicht wird unzumutbar.

Härtefälle entstehen aber auch dann, wenn das landwirtschaftliche Unternehmen zwar abgegeben werden könnte, dies jedoch nicht zu Einkünften des Landwirts führen würde, mit Hilfe derer er seinen Lebensunterhalt in Ergänzung der Rente sicherstellen kann. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat in seiner Stellungnahme den Charakter der Alterssicherung der Landwirte als bloße Teilsicherung betont, die auf eine Ergänzung durch Altenteilleistungen und Einnahmen aus der Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens angelegt ist. In der überwiegenden Anzahl der Fälle wird die Hofabgabe durch eine Eigentumsübertragung (§ 21 Abs. 1 ALG) oder durch die Verpachtung der landwirtschaftlich genutzten Flächen (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ALG) vollzogen. Hierdurch erzielt der abgebende landwirtschaftliche Unternehmer Einkünfte, die zur Sicherung seines Lebensunterhalts beitragen könnten. Eine solche Einkommenserzielung ist aber in denjenigen Fällen nicht gegeben, in denen sich niemand findet, der den Hof zu Konditionen kaufen oder pachten würde, die in einer Gesamtschau mit weiteren Einkünften des abgebenden landwirtschaftlichen Unternehmers ausreichend sind, um einen angemessenen Lebensunterhalt sicherzustellen. In diesen Fällen wird die Pflicht zur Hofabgabe unzumutbar, denn der abgebende Landwirt wird zur Erlangung der Rente gezwungen, seine andere Finanzquelle für das Alter aufzugeben oder zu reduzieren, obwohl seine Rente nur als Teilsicherung angelegt ist und die Einkünfte aus dem abgegebenen Hof dies nicht angemessen ergänzen.

Insgesamt ist die angegriffene Regelung infolge der mit den vorliegenden Verfassungsbeschwerden nicht angegriffenen Änderung des § 21 Abs. 9 ALG zum 1.01.2016 durch Art. 3 Nr. 3 d)) des Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und weiterer Vorschriften vom 21.12 201546 unzumutbar geworden, weil sie inzwischen tatsächlich nur noch eine kleine Gruppe von Landwirten erfasst und ihnen damit im Vergleich zu anderen Landwirten eine unangemessene Last zumutet. Der Gesetzgeber ist bei der inhaltlichen Festlegung von Eigentümerbefugnissen und -pflichten nach Art. 14 Abs. 1 GG auch an den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden47.

Dem wird die Regelung nach der Gesetzesänderung nicht mehr gerecht. Die Neuregelung hat die Hofabgabe unter Ehegatten erleichtert. Zwar erhält auch derjenige Ehegatte, der von dem anderen Ehegatten das landwirtschaftliche Unternehmen übernommen hat, weiterhin nur eine Rente, wenn er den Hof abgibt. Die entscheidende Änderung seit dem 1.01.2016 ist aber, dass eine Nichtabgabe des Unternehmens nur noch den Rentenanspruch desjenigen Ehegattens, der das landwirtschaftliche Unternehmen übernommen hat, entfallen lässt; auf die Rente des abgebenden Ehegattens hingegen keinen Einfluss mehr hat. Damit ist der Gesetzgeber zwar einer nach Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG unzulässigen Benachteiligung des einen Ehegatten entgegengetreten, hat jedoch ein neues verfassungsrechtliches Problem geschaffen.

Die Abgabe unter Ehegatten ist vor allem von Vorteil, wenn der übernehmende Ehegatte von der Versicherungspflicht in der Landwirtschaftlichen Alterskasse befreit ist (§ 3 ALG). Dann kann das landwirtschaftliche Unternehmen weiter bewirtschaftet werden, ohne dass die sanktionierende Wirkung der Hofabgaberegelung eintritt. Nach den Ausführungen des Thünen-Instituts für Ländliche Räume waren vor der Gesetzesänderung 61 % der landwirtschaftlichen Betriebe von der Hofabgabeklausel betroffen. Wegen der Erweiterung der Abgabemöglichkeiten unter Ehegatten erfasst sie nunmehr nur noch 21 % der Landwirte völlig, nämlich alleinstehende Landwirte, und 15 % teilweise, vor allem im Fall von Betriebsleiterehepaaren, die beide versicherungspflichtig sind. Es ist nicht zumutbar, dass hier eine Minderheit von derzeit noch 36 % der Landwirte unter gewichtigen Eingriffen in das Eigentumsgrundrecht für agrarpolitische Ziele einer zukunftsfähigen Landwirtschaftsstruktur in Anspruch genommen werden, obwohl sie diesen Zielen nicht näherstehen als andere. Dies wird der Gesetzgeber bei einer Neuregelung berücksichtigen müssen.

Die Hofabgabepflicht als Rentenvoraussetzung für den Ehegatten[↑]

Die Ehegattin eines Landwirts gilt selbst als Landwirtin nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ALG. Ihr dadurch begründeter eigener Rentenanspruch ist nach § 21 Abs. 9 Satz 4 ALG davon abhängig, dass ihr Ehegatte seinerseits den Hof abgibt, sobald er selbst die Voraussetzungen für eine Rente erfüllt. Die Abhängigkeit des Rentenanspruchs von der Hofabgabe durch den anderen Ehegatten verletzt Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG.

Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Es ist deshalb dem Gesetzgeber jede an die Existenz der Ehe anknüpfende Benachteiligung untersagt48. Verfassungsrechtlich geschützt ist nach Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG eine Ehe, in der die Eheleute in einer gleichberechtigten Partnerschaft zueinander stehen49 und in der die Ehegatten ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung in gemeinsamer Verantwortung bestimmen50. Das schließt eine einseitige Dominanz eines Ehepartners bei der Gestaltung von Rechtsverhältnissen aus49. Der Gesetzgeber darf eine solche Dominanz nicht durch sein eigenes Gesetz rechtlich begründen. Das gilt vor allem für die Ausgestaltung von Pflichtversicherungen, für die der mitversicherte, später rentenberechtigte Ehegatte die Beiträge selbst zu tragen hat (§ 70 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ALG). § 21 Abs. 9 Satz 4 ALG verlässt die von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Bestimmung der wirtschaftlichen Lebensführung in gemeinsamer Verantwortung beider Ehepartner und gibt sie – trotz einfachgesetzlich vorgesehener Pflichten zur Verständigung und zum Zusammenwirken in der Ehe – in die einseitige Bestimmungsgewalt eines der Ehepartner.

Eine besondere verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die hier bewirkte Abhängigkeit von der Entscheidung des Ehegatten über die Abgabe des Hofes ist nicht ersichtlich. Insbesondere trägt der Hinweis auf einen einfachgesetzlichen Anspruch gegen den anderen Ehegatten nach § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB, der gegebenenfalls eine Pflicht zur Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens zum Gegenstand hat51, nichts zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bei.

Die Hofabgabepflicht und die allgemeine Handlungsfreiheit[↑]

Die Beschwerdeführer haben auch die Verletzung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) gerügt. Da jedoch der Schutzbereich anderer speziellerer Freiheitsrechte betroffen ist, ist die Verfassungsmäßigkeit der Hofabgabeklausel nicht mehr an der allgemeinen Handlungsfreiheit zu prüfen52.

Folgen der Verfassungswidrigkeit des § 11 Abs. 1 No. 3 ALG[↑]

§ 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG in der Fassung des Art. 17 Nr. 6 des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) vom 20.04.200753 ist in den sich aus den Entscheidungsgründen ergebenden Umfang mit Art. 14 Abs. 1 GG und in Verbindung mit § 21 Abs. 9 Satz 4 ALG in der Fassung des Art. 7 Nr. 1a des Dritten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 05.08.20109 und in der Fassung des Art. 4 Nr. 5 des Gesetzes zur Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (LSV-Neuordnungsgesetz – LSV-NOG) vom 12.04.201210 mit Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG unvereinbar und damit unanwendbar.

§ 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG wird insgesamt für unanwendbar erklärt, weil es dem Gesetzgeber obliegt, die Fälle einer Unzumutbarkeit der Hofabgabe näher zu bestimmen. § 11 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 ALG bleiben hingegen weiter anwendbar. Von einer Nichtigerklärung (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG) wird abgesehen, weil der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, die Verfassungswidrigkeit zu beheben.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23. Mai 2018 – 1 BvR 97/14 – 1 BvR 97/14 – 1 BvR 2392/14

  1. BVerfG – 1 BvR 2392/14[]
  2. BVerfG – 1 BvR 97/14[]
  3. BSG, Beschlüsse vom 20.05.2014 – B 10 LW 5/14 B; und vom 04.09.2013 – B 10 LW 5/13 B[]
  4. LSG NRW, Urteile vom 26.09.2012 – L 8 LW 5/12; und vom 29.11.2013 – L 8 LW 14/12[]
  5. BGBl. I Seite 554, 569[]
  6. BGBl. I Seite 1127, 1132[]
  7. BGBl. I Seite 579, 589 f.[]
  8. BGBl I S. 1890[]
  9. BGBl I S. 1127, 1132[][]
  10. BGBl I S. 579, 589 f.[][][]
  11. BT-Drs. 17/7916, S. 28[]
  12. BT-Drs. 17/7916, S. 30[]
  13. BGBl I S. 2557, 2561[]
  14. vgl. Bekanntmachung der Beiträge und Beitragszuschüsse in der Alterssicherung der Landwirte für das Jahr 2016 vom 30.11.2015, BGBl I S. 2140[]
  15. Bekanntmachung der Beiträge und Beitragszuschüsse in der Alterssicherung der Landwirte für das Jahr 2017 vom 28.11.2016, BGBl I S. 2717[]
  16. vgl. Lagebericht der Bundesregierung über die Alterssicherung der Landwirte 2017, BT-Drs.19/100, S. 8[]
  17. vgl. BVerfGE 14, 263, 277; 143, 246, 323 Rn. 216[]
  18. vgl. BVerfGE 31, 229, 240; 50, 290, 339; 52, 1, 30; 100, 226, 241; 102, 1, 15; 143, 246, 323 Rn. 216; stRspr[]
  19. vgl. BVerfGE 100, 226, 241[]
  20. vgl. BVerfGE 50, 290, 340; 143, 246, 323 Rn. 216[]
  21. vgl. BVerfGE 134, 242, 290 f. Rn. 167 f.; 143, 246, 323 Rn. 216[]
  22. vgl. BVerfGE 97, 350, 370; 101, 54, 75; 105, 17, 30; 110, 141, 173; 143, 246, 327 Rn. 228[]
  23. vgl. BVerfGE 53, 257, 290; 58, 81, 109[]
  24. vgl. BVerfGE 53, 257, 290; 100, 1, 32[]
  25. vgl. BVerfGE 69, 272, 300 f.; 100, 1, 32 f.; stRspr[]
  26. vgl. BVerfG, Beschluss des Dreier-Ausschusses nach § 93a BVerfGG vom 18.12 1981 – 1 BvR 943/81 – SozR 5850 § 2 Nr. 8 zur bezüglich der Hofabgabe wortgleichen Vorgängervorschrift des § 2 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte[]
  27. anders noch BVerfG, Beschluss des Dreier-Ausschusses nach § 93a BVerfGG vom 30.05.1980 – 1 BvR 313/80 – SozR 5850 § 2 Nr. 6[]
  28. vgl. BVerfGE 105, 279, 299 f.[]
  29. vgl. BVerfGE 105, 279, 300[]
  30. vgl. BVerfGE 143, 246, 332 f. Rn. 243[]
  31. vgl. BVerfGE 83, 201, 212; 102, 1, 16; 143, 246, 342 Rn. 269[]
  32. vgl. BVerfGE 31, 275, 290; 70, 191, 201 f.; 143, 246, 342 Rn. 269[]
  33. vgl. BVerfGE 132, 334, 358[]
  34. vgl. BVerfGE 132, 134, 162 f. Rn. 70; 137, 34, 73 Rn. 77; 143, 246, 343 ff. Rn. 273 ff.[]
  35. vgl. BVerfGE 133, 168, 233 f. Rn. 118[]
  36. vgl. BVerfGE 54, 301, 313; 101, 331, 347; 141, 121, 133 Rn. 40[]
  37. vgl. BVerfG, Beschluss des Dreier-Ausschusses nach § 93a BVerfGG vom 18.12 1981 – 1 BvR 943/81 – SozR 5850 § 2 Nr. 8[]
  38. vgl. Mehl, Agrarstrukturelle Wirkungen der Hofabgabeklausel, in: SdL 1/2013, S. 5, 17[][]
  39. vgl. BVerfGE 100, 313, 373[]
  40. vgl. BVerfGE 90, 145, 172; 126, 112, 144; stRspr[]
  41. vgl. BVerfGE 81, 70, 90 f.; 100, 313, 375; 116, 202, 225; stRspr[]
  42. vgl. BVerfGE 100, 271, 286; 102, 197, 218; 103, 293, 308; 116, 202, 225[]
  43. vgl. Mehl, Agrarstrukturelle Wirkungen der Hofabgabeklausel, in: SdL 1/2013, S. 5, 38 f.[]
  44. vgl. BVerfGE 83, 1, 19; 126, 112, 152 f.; stRspr[]
  45. vgl. Mehl, Agrarstrukturelle Wirkungen der Hofabgabeklausel, in: SdL 1/2013, S. 5, 35[]
  46. BGBl I S. 2557[]
  47. vgl. BVerfGE 143, 246, 373 Rn. 348; stRspr[]
  48. vgl. BVerfGE 82, 60, 80[]
  49. vgl. BVerfGE 103, 89, 101[][]
  50. vgl. BVerfGE 105, 1, 10[]
  51. vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.03.2004 – 1 BvR 2099/03 19[]
  52. vgl. BVerfGE 83, 182, 194; 89, 1, 13; 116, 202, 221[]
  53. BGBl I S. 554, 569[]