Betriebsrente – und der Streit um die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bei der Auslegung der Begriffe der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit in Versorgungsbestimmungen regelmäßig von einer Kopplung an das Sozialversicherungsrecht auszugehen. Der Arbeitgeber ist zwar nicht verpflichtet, sich am gesetzlichen Rentenversicherungsrecht zu orientieren, sieht er aber davon ab, die Begriffe der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit selbst zu definieren und den Eintritt des Versorgungsfalls eigenständig festzulegen, will er damit in der Regel die sozialversicherungsrechtlichen Gegebenheiten übernehmen1.

Eine Versorgungszusage ist nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Regeln auszulegen, wenn sie Allgemeine Geschäftsbedingungen iSd. § 305 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB enthält, wofür bereits ihr äußeres Erscheinungsbild eine tatsächliche Vermutung begründen kann2.

So auch in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall: Die Überschrift „Urkunde K Buch- und Verlagsdruckerei“ sowie die Formulierung als einseitige Zusage lassen erkennen, dass die Arbeitgeberin die Bedingungen einseitig formuliert hat. Die Tatsache, dass die Urkunde erkennbar ein Formular ist, das lediglich durch die den Arbeitnehmer betreffenden Daten ergänzt wurde, sowie die Beifügung allgemeiner „Versorgungsrichtlinien“ lassen auf eine Vorformulierung zur mehrfachen Verwendung schließen.

Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von rechtsunkundigen, verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss. Soweit auch der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen Geschäftspartnern verfolgte Ziele gelten. Bleibt nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel, geht dies gemäß § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders3. Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen obliegt auch dem Revisionsgericht4.

Danach besteht im hier entschiedenen Fall ein Anspruch auf die betriebliche Invalidenrente nach der Versorgungszusage vom 02.01.2000, wenn der Versorgungsberechtigte voll erwerbsgemindert iSd. § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI ist und deshalb eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bei der Auslegung der Begriffe der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit in Versorgungsbestimmungen regelmäßig von einer Kopplung an das Sozialversicherungsrecht auszugehen5. Der Arbeitgeber ist zwar nicht verpflichtet, sich am gesetzlichen Rentenversicherungsrecht zu orientieren6. Sieht er aber davon ab, die Begriffe der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit selbst zu definieren und den Eintritt des Versorgungsfalls eigenständig festzulegen, will er damit in der Regel die sozialversicherungsrechtlichen Gegebenheiten übernehmen1.

Die hier streitgegenständliche Versorgungszusage vom 02.01.2000 bezieht sich mit der Wendung „völligen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts“ darüber hinaus sogar ausdrücklich auf die sozialversicherungsrechtlichen Begrifflichkeiten. Es handelt sich um eine dynamische Bezugnahme auf das jeweils geltende Sozialversicherungsrecht.

Statische Verweisungen und die damit verbundene Festschreibung bestimmter Regelungen sind die Ausnahme und müssen deshalb nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts deutlich zum Ausdruck gebracht werden7. Anhaltspunkte für einen dahingehenden Willen der Parteien sind vorliegend nicht ersichtlich.

Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.20008 am 1.01.2001 ist an die Stelle der Rente wegen Berufsunfähigkeit und der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit die Rente wegen Erwerbsminderung getreten. Nach § 43 Abs. 1 SGB VI nF erhalten Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, erhalten nach § 43 Abs. 2 SGB VI nF eine Rente wegen voller Erwerbsminderung9.

Die Rente wegen voller Erwerbsminderung entspricht nach Voraussetzungen und Inhalt der früheren Erwerbsunfähigkeitsrente. Nach § 44 SGB VI aF war erwerbsunfähig der Versicherte, der wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande war, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder ausreichendes Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen. Auch am Rentenartfaktor, der sich nach § 67 SGB VI aF bei Renten wegen Erwerbsunfähigkeit auf 1, 0 belief, hat sich durch das SGB VI nF nichts geändert. Bei Renten wegen voller Erwerbsminderung beläuft sich dieser Faktor nach § 67 SGB VI nF unverändert auf 1, 010.

Beide Definitionen setzen für den Versicherungsfall im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung voraus, dass der Versicherte „wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande“ sein muss, in näher bestimmtem Umfang erwerbstätig zu sein. Damit setzt das SGB VI in beiden Fassungen voraus, dass der Versicherte „auf nicht absehbare Zeit“ und damit letztlich „voraussichtlich dauernd“ erwerbsunfähig bzw. völlig erwerbsgemindert ist. Dies entspricht auch dem allgemeinen Sprachgebrauch, wonach „dauernd“ „für längere Zeit in gleich bleibender Weise vorhanden, wirkend, geltend“ meint11, nicht jedoch endgültig.

Für die Definition des Versorgungsfalls nach der vorliegenden Versorgungszusage („voraussichtlich dauernden völligen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts“), kommt es damit nicht auf die Frage an, ob die Rente von der gesetzlichen Rentenversicherung als befristete Rente oder als unbefristete Dauerrente bewilligt wird. Diese Formulierung in der Versorgungszusage nimmt lediglich die genannten Regelungen nach § 44 SGB VI aF bzw. § 43 Abs. 2 SGB VI nF in Bezug, also die Vorschriften über die materiellen Voraussetzungen einer an die Invalidität anknüpfenden Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Nicht in Bezug genommen sind dagegen die in §§ 99 ff. SGB VI seit jeher geregelten Fragen der befristeten oder unbefristeten Bewilligung einer Rente ua. wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit bzw. nunmehr wegen Erwerbsminderung. Dabei handelt es sich lediglich um Verfahrensvorschriften, die nicht den Begriff der dauernden völligen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts festlegen, den die Versorgungszusage aufgreift.

Durch die Vorlage des Bescheids der Deutschen Rentenversicherung hat der Arbeitnehmer diese Voraussetzung für die betriebliche Invaliditätsrente auch ausreichend nachgewiesen. Die Beibringung anderer Unterlagen nach den Versorgungsrichtlinien hat die Arbeitgeberin nicht verlangt.

Bundesarbeitsgericht, urteilvom 13. Juli 2021 – 3 AZR 445/20

  1. BAG 19.05.2016 – 3 AZR 794/14 – aaO; 11.10.2011 – 3 AZR 795/09 – aaO[][]
  2. vgl. BAG 19. Juli 2016 – 3 AZR 141/15 – Rn. 15; 20. März 2019 – 7 AZR 98/17 – Rn. 21; 18. Oktober 2018 – 6 AZR 246/17 – Rn. 12; 27. Januar 2016 – 5 AZR 278/14 – Rn. 16 mwN[]
  3. st. Rspr., zB BAG 23.03.2021 – 3 AZR 99/20, Rn. 15 mwN[]
  4. BAG 4.08.2015 – 3 AZR 137/13, Rn. 31 mwN, BAGE 152, 164[]
  5. BAG 19.05.2016 – 3 AZR 794/14, Rn. 41, BAGE 155, 125; 11.10.2011 – 3 AZR 795/09, Rn. 25; 20.02.2001 – 3 AZR 21/00, zu I 1 der Gründe; 14.12.1999 – 3 AZR 742/98, zu I 1 der Gründe; 24.06.1998 – 3 AZR 288/97, zu B II 1 der Gründe, BAGE 89, 180; 19.04.1983 – 3 AZR 4/81, zu I 1 b (2) der Gründe[]
  6. vgl. BAG 20.10.1987 – 3 AZR 208/86[]
  7. vgl. BAG 19.05.2016 – 3 AZR 794/14, Rn. 43, BAGE 155, 125; 9.10.2012 – 3 AZR 539/10, Rn. 32; 19.04.2011 – 3 AZR 272/09, Rn. 26; 19.01.2011 – 3 AZR 83/09, Rn. 26, BAGE 136, 374; 16.12.2009 – 5 AZR 888/08, Rn. 14; zustimmend Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto BetrAVG 7. Aufl. Anh. § 1 Rn. 174; Höfer/Höfer Bd. I Stand Januar 2021 Kap. 7 Rn. 87[]
  8. BGBl. I S. 1827[]
  9. BAG 19.05.2016 – 3 AZR 794/14, Rn. 46, BAGE 155, 125; 9.10.2012 – 3 AZR 539/10, Rn. 27; 28.06.2011 – 3 AZR 385/09, Rn. 33, BAGE 138, 184; 19.01.2011 – 3 AZR 83/09, Rn. 27, BAGE 136, 374[]
  10. BAG 19.05.2016 – 3 AZR 794/14, Rn. 47, BAGE 155, 125; 28.06.2011 – 3 AZR 385/09, Rn. 34, BAGE 138, 184; 19.04.2011 – 3 AZR 272/09, Rn. 29; 19.01.2011 – 3 AZR 83/09, Rn. 28, BAGE 136, 374[]
  11. Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Stichwort „dauernd“[]