Betriebliche Voraussetzung für die DDR-Altersversorgung der technischen Intelligenz

Bei einer Handwerkskammer des Bezirks in der ehemaligen DDR handelt es sich evident weder um einen volkseigenen Produktionsbetrieb noch um einen gleichgestellten Betrieb. Das AAÜG kann schon deshalb auf die dort Beschäftigten keine Anwendung finden, so dass diese auch nicht die betriebliche Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz erfüllen.

Nach § 8 Abs 3 S 1 AAÜG hat die Beklagte als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme der Anlage 1 bis 27 (§ 8 Abs 4 Nr 1 AAÜG) dem Berechtigten durch Bescheid den Inhalt der Mitteilung nach Abs 2 aaO bekannt zu geben. Diese Mitteilung hat folgende Daten zu enthalten1: Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem, das hieraus tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen, die Arbeitsausfalltage sowie – jedenfalls bis zum Inkrafttreten des 2. AAÜG-ÄndG am 3.8.20012 – alle Tatumstände, die erforderlich sind, um eine besondere Beitragsbemessungsgrenze anzuwenden (§§ 6, 7 AAÜG).

Allerdings hat der Versorgungsträger diese Daten nur festzustellen, wenn das AAÜG anwendbar ist3. Den Anwendungsbereich des AAÜG, das am 1.8.1991 in Kraft trat (Art 42 Abs 8 RÜG4), regelt dessen seither unveränderter § 1 Abs 1. Danach gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften (= Versorgungsberechtigungen), die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen (Versorgungssysteme iS der Anlage 1 und 2 im Beitrittsgebiet <§ 18 Abs 3 SGB IV>) erworben worden sind (S 1). Soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust als nicht eingetreten (S 2), so dass das AAÜG auch in diesen Fällen Geltung beansprucht.

Im vorliegend vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall wird der Kläger vom persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG nicht erfasst. Denn er hat weder einen „Anspruch“ noch eine „aufgrund der Zugehörigkeit“ zur AVItech „erworbene“ Anwartschaft iS von § 1 Abs 1 S 1 AAÜG noch eine fiktive Anwartschaft gemäß S 2 aaO inne. Der Ausdruck „Anspruch“ umfasst in seiner bundesrechtlichen Bedeutung das (Voll-)Recht auf Versorgung, wie die in § 194 BGB umschriebene Berechtigung, an die auch § 40 SGB I anknüpft, vom Versorgungsträger (wiederkehrend) Leistungen, nämlich die Zahlung eines bestimmten Geldbetrages zu verlangen. Dagegen umschreibt „Anwartschaft“ entsprechend dem bundesdeutschen Rechtsverständnis eine Rechtsposition unterhalb der Vollrechtsebene, in der alle Voraussetzungen für den Anspruchserwerb bis auf den Eintritt des Versicherungs- bzw Leistungsfalls (Versorgungsfall) erfüllt sind (BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 6 S 38 und Nr 7 S 54).

Ausgehend von diesem bundesrechtlichen Begriffsverständnis hat der Kläger schon deshalb keinen „Anspruch“ auf Versorgung iS des § 1 Abs 1 S 1 AAÜG erworben, weil bei ihm bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1.8.1991 kein Versorgungsfall (Alter, Invalidität) eingetreten war. Zu seinen Gunsten begründet auch nicht ausnahmsweise § 1 Abs 1 S 2 AAÜG eine (gesetzlich) fingierte Anwartschaft ab dem 1.8.1991, weil der Kläger in der DDR nie konkret in ein Versorgungssystem einbezogen worden war und diese Rechtsposition deshalb später auch nicht wieder verlieren konnte5.

Ob nach dem am 1.8.1991 geltenden Bundesrecht aufgrund der am Stichtag 30.6.1990 gegebenen tatsächlichen Umstände ein fiktiver bundesrechtlicher „Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage“ – eine fingierte Versorgungsanwartschaft – besteht, hängt im Bereich der AVItech gemäß § 1 VO-AVItech und der dazu ergangenen 2. DB von folgenden drei Voraussetzungen ab6, die kumulativ vorliegen müssen,

  1. von der Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung),
  2. von der Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung),
  3. und zwar in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs 1 der 2. DB) oder in einem durch § 1 Abs 2 der 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

Ob die betriebliche Voraussetzung iS der VO-AVItech iVm der 2. DB rechtlich erfüllt ist, bestimmt sich danach, wer am maßgeblichen Stichtag Arbeitgeber im rechtlichen Sinne war7 und welchen Zweck dessen Betrieb tatsächlich verfolgte8. Abzustellen ist hierbei nach ständiger Rechtsprechung des BSG gemäß den Vorgaben des Einigungsvertrags (EinigVtr) auf die tatsächlichen Gegebenheiten am 30.6.19909. In den genannten höchstrichterlichen Entscheidungen ist zugleich darauf hingewiesen worden, dass der Bundesgesetzgeber an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme in der DDR sowie an die gegebene versorgungsrechtliche Lage der Betroffenen ohne Willkürverstoß anknüpfen und damit ua zu Grunde legen durfte, dass nur derjenige in das Zusatzversorgungssystem der AVItech einbezogen werden durfte, der am 30.6.1990 (Zeitpunkt der Schließung der Zusatzversorgungssysteme) in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie und des Bauwesens oder in einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt war. Art 3 Abs 1 und 3 GG gebietet nicht, von jenen zu Bundesrecht gewordenen Regelungen der Versorgungssysteme sowie von den historischen Fakten, aus denen sich etwa Ungleichheiten ergeben, abzusehen und sie „rückwirkend“ zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen10.

Eine solche nachträgliche Korrektur der im Bereich der Zusatzversorgungssysteme am 30.6.1990 in Kraft gewesenen abstrakt-generellen Regelungen ist daher auch insoweit unzulässig, als sie damals willkürlich waren. Mit Blick auf die Neueinbeziehungsverbote in dem zu Bundesrecht gewordenen Rentenangleichungsgesetz der DDR (vgl Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr 8 zum EinigVtr) und im EinigVtr (vgl Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr 9 Buchst a S 1 Halbs 2 zum EinigVtr) ist eine erweiternde Auslegung über die in § 1 Abs 1 AAÜG selbst angelegte Modifikation hinaus nicht erlaubt (Art 20 Abs 3 GG), so dass ein Analogieverbot besteht. Diese verfassungsrechtliche Wertung des BSG hat das BVerfG bestätigt11.

Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen hat das Bundessozialgericht davon auszugehen, dass laut Arbeitsvertrag vom 11.2.1986 Arbeitgeber des Klägers die Handwerkskammer des Bezirks Frankfurt/Oder war. Bei ihr handelt es sich offensichtlich weder um einen volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens noch um einen gleichgestellten Betrieb. Denn Aufgabe der Handwerkskammern der Bezirke war, durch eine aktive politisch-ideologische Arbeit mit den Genossenschaftshandwerkern, privaten Handwerkern und den in der Gewerberolle der Handwerkskammern der Bezirke eingetragenen Gewerbetreibenden dazu beizutragen, dass diese die ihnen gestellten volkswirtschaftlichen Aufgaben gewissenhaft erfüllen (§ 1 der Anlage zur VO über das Statut der Handwerkskammern der Bezirke vom 21.2.1973, GBl I 1973 Nr 14). Damit kommt als Arbeitgeber des Klägers das STZ nicht in Betracht. Auf die Frage, ob das STZ als „technische Schule“ iS des § 1 Abs 2 der 2. DB anzusehen ist, kommt es daher nicht an.

Bundessozialgericht, Urteil vom 20. März 2013 – B 5 RS 27/12 R

  1. vgl BSG SozR 3-8570 § 8 Nr 7 S 38 f[]
  2. vgl hierzu BSG, Urteil vom 14.12.2011 – B 5 R 2/10 R, SozR 4-8570 § 7 Nr 3 RdNr 26 f[]
  3. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 10 und Nr 6 S 37[]
  4. Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung vom 25.7.1991, BGBl I 1606[]
  5. vgl dazu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 15 und Nr 3 S 20 f, SozR 4-8570 § 1 Nr 4 RdNr 8 f[]
  6. vgl BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 6 S 40 f; SozR 4-8570 § 1 Nr 9 RdNr 23[]
  7. BSG Urteil vom 18.12.2003 – B 4 RA 20/03 R, SozR 4-8570 § 1 Nr 2 RdNr 31[]
  8. vgl zum Ganzen BSG Urteil vom 15.6.2010 – B 5 RS 10/09 R – BSGE 106, 160 = SozR 4-8570 § 1 Nr 17, RdNr 32[]
  9. vgl ua: BSG Urteile vom 9. und 10.4.2002, SozR 3-8570 § 1 Nr 2 bis 8[]
  10. BSG Urteil vom 7.9.2006 – B 4 RA 41/05 R, SozR 4-8570 § 1 Nr 11 RdNr 15[]
  11. BVerfG, Beschluss vom 4.8.2004 – 1 BvR 1557/01, SozR 4-8570 § 5 Nr 4 RdNr 15 f; Beschluss vom 26.10.2005 – 1 BvR 1921/04, SozR 4-8560 § 22 Nr 1 RdNr 38 ff[]