Die Angestellten und Arbeitern der an der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) beteiligten Arbeitgeber haben weder einen Anspruch auf eine bei Fortgeltung des vor der Systemumstellung geltenden Satzungsrechts der VBL bestehende Versorgungsrente, noch ist die VBL verpflichtet, die Stargutschrift mindestens in Höhe einer nach § 2 BetrAVG und dem damaligen Satzungsrecht der VBL ermittelten zeitanteiligen Anwartschaft zu berechnen.
Die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder hat die Aufgabe, Angestellten und Arbeitern der an ihr beteiligten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes auf der Grundlage entsprechender Versorgungstarifverträge im Wege privatrechtlicher Versicherung eine zusätzliche Alters, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Mit Neufassung ihrer Satzung (im Weiteren: VBLS) vom 22.11.2002 stellte die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder ihr Zusatzversorgungssystem rückwirkend zum 31.12 2001 (Umstellungsstichtag) von einem an der Beamtenversorgung orientierten Gesamtversorgungssystem auf ein auf dem Punktemodell beruhendes, beitragsorientiertes Betriebsrentensystem um. Den Systemwechsel hatten die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes im Tarifvertrag Altersversorgung vom 01.03.2002 (ATV) vereinbart.
Die neugefasste Satzung enthält Übergangsregelungen zum Erhalt von bis zur Systemumstellung erworbenen Rentenanwartschaften. Diese werden ihrem Wert nach festgestellt, in Versorgungspunkte umgerechnet und als Startgutschriften den Versorgungskonten der Versicherten gutgeschrieben. Dabei werden Versicherte, deren Versorgungsfall noch nicht eingetreten ist, in rentennahe und rentenferne Versicherte unterschieden. Rentennah ist nur, wer am 1.01.2002 das 55. Lebensjahr vollendet hatte und im Tarifgebiet West beschäftigt war beziehungsweise dem Umlagesatz des Abrechnungsverbandes West unterfiel oder Pflichtversicherungszeiten in der Zusatzversorgung vor dem 1.01.1997 vorweisen kann. Die Anwartschaften der etwa 200.000 rentennahen Versicherten werden gemäß § 79 Abs. 2 VBLS vorwiegend nach dem alten, auf dem Gesamtversorgungssystem beruhenden Satzungsrecht der VBL ermittelt. Die Anwartschaften der übrigen, etwa 1, 7 Mio. rentenfernen Versicherten berechneten sich demgegenüber nach den §§ 78 Abs. 1 und 2, 79 Abs. 1 Satz 1 VBLS in Verbindung mit § 18 Abs. 2 BetrAVG.
Mit Urteil vom 14.11.20071 erklärte der Bundesgerichtshof die Startgutschriftenermittlung für rentenferne Versicherte wegen Verstoßes der zugrunde liegenden Übergangsregelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG für unverbindlich. Daraufhin einigten sich die Tarifvertragsparteien mit Änderungstarifvertrag Nr. 5 vom 30.05.2011 zum Tarifvertrag Altersversorgung (im Weiteren ATVÄndV5), die bisherige Ermittlung der Startgutschriften beizubehalten, aber vgl. § 1 Nr. 5 Buchst. a ATVÄndV5, § 33 Abs. 1a ATV – durch ein auf § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG zurückgreifendes Vergleichsmodell zu ergänzen. Mit der 17. Satzungsänderung vom Januar 2012 übernahm die VBL die tarifvertraglichen Vorgaben in § 79 Abs. 1a ihrer Satzung. Die Berechnungsweise der Startgutschriften rentenferner Versicherter nach der neu gefassten Übergangsvorschrift hat der Bundesgerichtshof im Urteil vom 09.03.20162 im Einzelnen dargelegt.
Für den Systemwechsel bestand ein ausreichender Anlass.
Die Einschätzung der voraussichtlichen Entwicklung der Zusatzversorgung war Sache der Tarifvertragsparteien. Deren Beurteilung ist, wie der Bundesgerichtshof wiederholt entschieden und näher begründet hat3, von ihrer Einschätzungsprärogative gedeckt.
Ob die absehbare demographische Entwicklung im Zusammenhang mit der Heraufsetzung der Altersgrenzen den angenommenen Finanzierungsbedarf hat entfallen lassen, ist Gegenstand der den Tarifvertragsparteien zustehenden Prognoseentscheidung. Gleiches gilt für die Frage, ob und auf welche Weise die Defizite in der Finanzierung der VBL zu beheben sind. Ungeachtet der von der Revision behaupteten Defizitursachen ist die Einschätzung zu erwartender Finanzierungslasten und ihrer Auswirkungen ebenso wie die Lösung entstehender Verteilungsprobleme Sache der Tarifvertragsparteien4.
Das Gericht braucht auch keinen Beweis darüber zu erheben, ob die Tarifvertragsparteien bei der Prognose der weiteren finanziellen Entwicklung von unrichtigen oder unvollständigen Zahlen ausgegangen sind5.
Diese Handhabung der Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien wird durch die Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom 13.09.20116 nicht in Frage gestellt. Diese betreffen die Auslegung von Vorschriften der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf7. Über den Geltungsbereich dieser Richtlinie hinausgehende Aussagen betreffend die Abwägung zwischen nationalen Grundrechten der Versicherten und der Tarifautonomie sowie die daraus abzuleitende Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien lassen sich der Entscheidung nicht entnehmen.
Die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gebieten es nicht, dem Arbeitnehmer im Rahmen des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG eine Versorgungsrente nach dem vor der Systemumstellung geltenden Satzungswerk der VBL zu gewähren. Der eigentumsrechtliche Schutz von Anwartschaften auf eine betriebliche Altersversorgung reicht nur so weit, wie die Ansprüche bereits bestehen; er verschafft diese selbst nicht8. Eine eigentumsrechtlich bedenkliche Entwertung der anteilig von den Versicherten geleisteten Beiträge und Umlagen ist mit der Systemumstellung, anders als die Revision meint, nicht verbunden9. Die dem Arbeitnehmer im Einzelfall entstandenen Einbußen begründen für sich genommen – auch unter Härtefallgesichtspunkten10 – keine andere Entscheidung.
Eine Dynamisierung der Startgutschrift des Arbeitnehmers lehnt der Bundesgerichtshof ebenfalls ab. Die von den Tarifvertragsparteien und – ihnen folgend – der VBL getroffene Entscheidung, die Startgutschriften nach § 33 Abs. 7 ATV in Verbindung mit § 19 ATV, § 79 Abs. 7 VBLS in Verbindung mit § 68 VBLS allein dadurch zu dynamisieren, dass diese Bonuspunkte auslösen können, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden11.
Die unterbliebene Dynamisierung der Startgutschrift ist auch nicht gleichheitswidrig. Die aufgrund der seit dem Jahre 2002 geleisteten Umlagen oder Beiträge erworbenen Anwartschaften sämtlicher Versicherter werden unterschiedslos entsprechend ihrem Dienstalter anhand des jeweiligen Altersfaktors nach § 36 Abs. 3 VBLS dynamisiert. Aufgrund von vor dem Jahr 2002 geleisteten Umlagen erworbene Anwartschaften werden – ebenfalls unterschiedslos für alle Versicherten dadurch dynamisiert, dass sie Bonuspunkte auslösen können.
Dem Begehren, einen Zuschlag zur Startgutschrift nach § 79 Abs. 1a VBLS festzustellen, der auf einem Unverfallbarkeitsfaktor ohne Abzug von 7, 5 Prozentpunkten beruht, ist mit Rücksicht auf die in Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie ebenfalls nicht zu entsprechen.
Das Rechtsstaatsprinzip erfordert eine gerichtliche Bestimmung der Übergangsregelung derzeit noch nicht. Zwar verbietet der aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art.20 Abs. 3 GG in Verbindung mit den Grundrechten abzuleitende Justizgewährungsanspruch auch bei der gerichtlichen Kontrolle privatrechtlicher Regelungen, dass die gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar verkürzt wird12. Der insoweit gebotene Ausgleich zwischen dem Justizgewährungsanspruch und der Tarifautonomie im Sinne praktischer Konkordanz ergibt indes, dass den Beurteilungs- und Gestaltungsspielräumen der Tarifvertragsparteien derzeit noch ein höheres Gewicht beizumessen ist.
Bei bewussten Regelungslücken ist eine ergänzende richterliche Auslegung des Tarifvertrags in der Regel ausgeschlossen. Bei unbewussten Regelungslücken ist sie zulässig, wenn hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung der Ersatzregelung hinreichende Anhaltspunkte für den Regelungswillen der Tarifvertragsparteien bestehen13. Unwirksame Regelungen in tarifvertraglichen Vorschriften schaffen zwar ungewollte Regelungslücken. Das bedeutet aber nicht ohne weiteres, dass sich die Tarifvertragsparteien einer rechtlichen Problematik nicht bewusst gewesen sind. Sie haben die § 79 Abs. 1a VBLS zugrunde liegende Regelung in den ATV eingefügt, um dem durch das BGH, Urteil vom 14.11.2007 festgestellten Gleichheitsverstoß der bisherigen Übergangsvorschrift für rentennahe Versicherte abzuhelfen.
Bei Abwägung der geschützten Interessen der Tarifvertragsparteien einerseits und der Versicherten andererseits gebietet der Anspruch des Arbeitnehmers auf effektiven Rechtsschutz jedenfalls derzeit noch keine gerichtliche Übergangsregelung. Stehen den Tarifvertragsparteien mehrere Möglichkeiten für eine verfassungskonforme Neugestaltung der Übergangsregelungen offen, lassen sich, wovon das Berufungsgericht zu Recht ausgeht, gerichtliche Vorgaben für die Neuregelung mit der Tarifautonomie grundsätzlich nicht vereinbaren. Im Betätigungsfeld der Tarifvertragsparteien hat sich der Staat grundsätzlich einer Einflussnahme zu enthalten. Er überlässt die erforderlichen Regelungen der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zum großen Teil den Koalitionen, die sie autonom durch Vereinbarungen treffen14. Danach ist eine gerichtliche Regelung nicht schon deswegen geboten, weil auch die neu gefasste Übergangsregelung für die rentenfernen Versicherten wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz unwirksam ist.
Auch lässt sich den Ausführungen der VBL zur vermeintlichen Wirksamkeit der neu gefassten Startgutschriftenermittlung nicht entnehmen, dass sie nicht ernsthaft eine den grundgesetzlichen Anforderungen entsprechende Regelung verfolgen möchte. Maßgebend ist stattdessen, dass die zu regelnde Materie komplex ist und die zu treffende Neuregelung schon mit Blick auf die Anzahl der betroffenen rentenfernen Versicherten erhebliche finanzielle Auswirkungen haben kann. Angesichts dessen muss es, trotz des absehbar damit verbundenen Zeitaufwands, den Tarifvertragsparteien zunächst noch vorbehalten bleiben, auf welche Weise sie die Startgutschrift für rentenferne Versicherte ermitteln wollen. Das Interesse der Versicherten hat dahinter zurückzustehen, auch wenn sich mittlerweile die ersten Jahrgänge zum Umstellungsstichtag rentenferner Versicherter nicht mehr in der Anwartschaftsphase befinden15 sondern bereits eine Betriebsrente bei der VBL beziehen. Das erscheint aber, wovon auch das Berufungsgericht ausgeht, derzeit noch hinnehmbar, weil weiterhin ein beträchtlicher Teil der betroffenen Versicherten noch keine Rente bezieht und ihnen aufgrund der Unwirksamkeit der Übergangsregelung nicht ihre vollständige Betriebsrente, sondern allein eine gleichheitsgemäße Ermittlung der der Rente anteilig zugrunde liegenden Startgutschrift vorübergehend vorenthalten wird.
Die VBL ist auch nicht verpflichtet, verpflichtet, dem Arbeitnehmer bis zur Neuregelung durch die Tarifvertragsparteien eine Startgutschrift unter Anwendung der Grundsätze für die rentennahen Jahrgänge zu gewähren und den sich daraus zuzüglich der im Punktemodell erworbenen Punkte ergebenden Betrag zu zahlen. Anders als die Revision meint, ist dies auch unter dem Gesichtspunkt einer unterschiedlichen Ermittlung der Startgutschriften rentennaher und rentenferner Versicherter nicht geboten. Gegen diese unterschiedliche Behandlung und den für die Unterscheidung maßgeblichen Stichtag in der Übergangsregelung des § 79 VBLS bestehen keine rechtlichen Bedenken16. Mit Urteil vom 09.03.201617 hat der Bundesgerichtshof mittlerweile zudem entschieden und näher begründet, dass die Unterscheidung zwischen rentennahen und rentenfernen Versicherten auch unter dem Gesichtspunkt der Altersdiskriminierung weder gegen § 7 Abs. 1 Halbsatz 1 AGG und Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG, noch gegen Art. 157 AEUV (vormals Art. 141 EG), Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 EUV18 sowie allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts19 oder den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.
Auf die zusätzlich gegen das so genannte Näherungsverfahren erhobenen Einwendungen kommt es vor diesem Hintergrund nicht mehr an.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 25. Januar 2017 – IV ZR 229/1
- BGH, Urteil vom 14.11.2007 – IV ZR 74/06, BGHZ 174, 127 Rn. 122 ff.[↩]
- BGH, Urteil vom 09.03.2016 – IV ZR 9/15, r+s 2016, 250 = VersR 2016, 583 Rn. 4[↩]
- BGH, Urteile vom 03.04.2013 – IV ZR 411/12 17; vom 04.11.2009 – IV ZR 118/07 12; vom 15.10.2008 – IV ZR 164/07 18; vom 15.10.2008 – IV ZR 237/07 18; vom 24.09.2008 – IV ZR 134/07, BGHZ 178, 101 Rn. 27; vgl. auch BVerfG ZTR 2013, 668 Rn. 29[↩]
- BGH, Urteile vom 24.09.2008 – IV ZR 134/07 aaO Rn. 27; vom 14.11.2007 – IV ZR 74/06, BGHZ 174, 127 Rn. 35; vgl. auch BAG, NZA-RR 2008, 82 Rn. 58[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 03.04.2013 – IV ZR 411/12 aaO Rn. 17; vom 04.11.2009 – IV ZR 118/07 aaO Rn. 12[↩]
- EuGH, Urteil vom 13.09.2011 C447/09, Slg. 2011, I8003[↩]
- Abl. EG L 303 S. 16[↩]
- BGH, Urteil vom 14.11.2007 – IV ZR 74/06 aaO Rn. 41 ff.; BVerfG ZTR 2015, 442 Rn. 8; ZTR 2013, 668 Rn. 22; BVerfGE 131, 66 unter B – III 2[↩]
- BVerfG ZTR 2013, 668 Rn. 23[↩]
- vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 27.09.2012 – IV ZR 176/1020; vom 10.03.2010 – IV ZR 333/07, NVwZ-RR 2010, 572 Rn. 16[↩]
- BGH, Urteile vom 24.03.2010 – IV ZR 296/07, BGHZ 185, 83 Rn. 24; – IV ZR 168/08; und – IV ZR 69/08, VersR 2010, 801 Rn. 22; vom 24.09.2008 – IV ZR 134/07 aaO Rn. 50; vom 14.11.2007 – IV ZR 74/06 aaO Rn. 81; BVerfG ZTR 2013, 668 Rn. 35[↩]
- BGH, Urteil vom 14.11.2007 – IV ZR 74/06 aaO Rn. 143; vgl. BVerfGK 6, 79 unter – II 1 a[↩]
- BGH, Urteil vom 14.11.2007 – IV ZR 74/06 aaO Rn. 144 m.w.N.[↩]
- BVerfG, VersR 2010, 1166 Rn. 25; ZTR 2010, 309 Rn. 29; vgl. auch BAGE 110, 277 unter 4 a[↩]
- vgl. auch BVerfG VersR 2010, 1166 Rn. 2628; ZTR 2010, 309 Rn. 3032[↩]
- BGH, Urteile vom 25.09.2013 – IV ZR 207/11, VersR 2014, 89 Rn. 30; und – IV ZR 47/12, BetrAV 2014, 189 Rn. 32; vom 24.09.2008 – IV ZR 134/07 aaO Rn. 30; vgl. BAG, NZA 2014, 36 Rn.20 ff.[↩]
- BGH, Urteil vom 09.03.2016 – IV ZR 168/15, r+s 2016, 255 Rn. 23 ff.[↩]
- vgl. EuGH, Slg. 2010, I365 Rn. 22[↩]
- vgl. EuGH Slg. 2005, I9981 Rn. 75 f.[↩]