Die Gruppen-Rentenversicherung in der Insolvenz des Arbeitgebers

In der Insolvenz des Arbeitgebers stehen die Rechte aus vom Arbeitgeber als Gruppenversicherungsvertrag für seinen Arbeitnehmer geschlossenen Rentenversicherungsverträgen der Masse zu, wenn bezüglich des Bezugsrechts noch eine Widerrufsmöglichkeit besteht, oder ob sie zum Vermögen der Arbeitsnehmer gehören und ihnen ein Aussonderungsrecht zusteht. Dabei steht das eingeschränkt unwiderrufliche Bezugsrecht einem uneingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrecht in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht gleich, solange die tatbestandlichen Voraussetzungen des vereinbarten Vorbehalts nicht erfüllt sind1.

Im vorliegend entschiedenen Fall enthielten die Rentenversicherungsverträge hierzu folgende Bestimmung

„Aus der Versicherung ist der Arbeitnehmer unter nachfolgendem Vorbehalt hinsichtlich sämtlicher Leistungen unwiderruflich bezugsberechtigt. Wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalles endet und der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt noch keine unverfallbare Anwartschaft hat, hat der Arbeitgeber das Recht, alle künftig fällig werdenden Versicherungsleistungen für sich in Anspruch zu nehmen. Unverfallbar ist die Anwartschaft dann, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Ausscheidens das 30. Lebensjahr vollendet hat und die Versicherung 5 Jahre mit uns als Versicherungsnehmer bestanden hat.“

Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt, wenn die Arbeitsverhältnisse (hier: insolvenzbedingt) beendet sind und Unverfallbarkeit der Anwartschaften noch nicht gegeben war allein davon ab, ob die Klausel einschränkend dahin auszulegen ist, dass sie die Fälle insolvenzbedingter Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht erfasst.

Bei der Klausel zur Bezugsberechtigung handelt es sich um einen Bestandteil der AVB der Beklagten. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. Liegt wie hier ein Gruppenversicherungsvertrag und damit eine Versicherung zugunsten Dritter vor, so kommt es daneben auch auf die Verständnismöglichkeiten durchschnittlicher Versicherter und ihre Interessen an2.

Dabei werden sowohl die Versicherungsnehmerin als auch die Versicherten zunächst vom Wortlaut der Bedingung ausgehen. Insoweit schließt der Vorbehalt zum Widerruf der Bezugsberechtigung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor eingetretener Unverfallbarkeit der Anwartschaft die Fälle insolvenzbedingter Beendigung „ohne weiteres“ ein, weil der Wortlaut nicht auf den Beendigungsgrund abstellt3.

Hierauf darf sich die Auslegung jedoch nicht beschränken. Auch in Fällen insolvenzbedingter Beendigung ist zu fragen, ob der erkennbare Sinnzusammenhang der Klausel unter Berücksichtigung der Interessen von Versicherungsnehmern und Versicherten eine von einem reinen Wortlautverständnis abweichende Interpretation gebietet.

Insoweit hat der Bundesgerichtshof schon in seiner früheren Rechtsprechung entscheidend darauf abgestellt, dass dem Arbeitnehmer bei einer nur am Wortlaut orientierten Auslegung die erworbenen Versicherungsansprüche auch in den Fällen entzogen würden, die sich seiner Einflussnahme entziehen und auch sonst nicht seiner Sphäre zuzuordnen sind, sowie dass sich der Arbeitgeber mit dem Vorbehalt auch der weiteren Betriebstreue des Arbeitnehmers vergewissern wolle, wofür es aber genüge, dass der Vorbehalt solche Beendigungsgründe erfasst, die neben der freiwilligen Aufgabe des Arbeitsplatzes auch sonst auf die Person und das betriebliche Verhalten des Arbeitnehmers zurückzuführen sind4. Bei dieser Interessenlage der Arbeitnehmer einerseits und des Arbeitgebers andererseits, die dem Vorbehalt regelmäßig zugrundeliegt, handelt es sich um einen außerhalb des Wortlauts liegenden Umstand.

Maßgeblich für die Auslegung des Vorbehalts ist dabei allein die Interessenlage, wie sie sich im Zeitpunkt der Begründung des Versicherungsschutzes darstellt, so dass die Interessen von Insolvenzgläubigern nach der erst später erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Rolle spielen können.

Die Berücksichtigung vorgenannter Gesichtspunkte bei der Auslegung des Vorbehalts kann auch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der Bundesgerichtshof habe diese aufgegeben. Das ist weder im Vorlageverfahren vor dem Gemeinsamen Bundesgerichtshof noch danach geschehen. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Stellungnahme im Verfahren GmSOGB 2/07 (aaO) im Gegenteil ausdrücklich klargestellt, dass Auslegungsgesichtspunkte außerhalb des Wortlauts, die ein anderes Verständnis gebieten könnten, von seiner Bejahung der präzisierten Vorlagefrage nicht berührt würden, weil diese Frage ausschließlich aufgrund des in der Frage gegebenen Wortlauts zu beantworten sei und beantwortet werde. Damit ist auch in diesem Vorlageverfahren das Primat der Auslegung klargestellt worden, und der Bundesgerichtshof hat danach weiter daran festgehalten, dass es jeweils der Auslegung im Einzelfall bedarf, wann die tatbestandlichen Voraussetzungen eines solchen Vorbehalts erfüllt sind5.

Dies steht nicht im Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Dieses hat vielmehr ebenfalls ausgeführt, dass Umstände außerhalb der Urkunde bei der Auslegung zu berücksichtigen sind und daher eine Auslegung im Einzelfall geboten ist6. Zu diesen Umständen zählt die das Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers beeinflussende Interessenlage der Vertragsparteien und der Versicherten bei Vertragsschluss. Dagegen wird sein Verständnis vom Inhalt einer versicherungsvertraglichen Bezugsrechtserklärung regelmäßig nicht entscheidend von der ihm in der Regel unbekannten gesetzlichen Bestimmung des § 1b BetrAVG beeinflusst, die dem Arbeitgeber einen Widerruf des Bezugsrechts erst ab Eintritt der Unverfallbarkeit verbietet.

Bundesgerichtshof, Urteil des IV. Zivilsenats vom 22. Januar 2014 – IV ZR 127/12

  1. BGH, Urteile vom 08.06.2005 – IV ZR 30/04, VersR 2005, 1134 unter – II 2; vom 03.05.2006 – IV ZR 134/05, VersR 2006, 1059 Rn. 10; BAGE 134, 372 Rn. 23[]
  2. BGH, Urteil vom 08.05.2013 – IV ZR 233/11, VersR 2013, 853 Rn. 40 m.w.N.; st. Rspr.[]
  3. vgl. die Stellungnahme des BGH im Verfahren GmSOGB 2/07 vom 21.08.2009, wiedergegeben in BAGE 134, 372 Rn. 44[]
  4. BGH, Urteile vom 08.06.2005 – IV ZR 30/04, VersR 2005, 1134 unter II 3 b; vom 03.05.2006 – IV ZR 134/05, VersR 2005, 1059 Rn. 14 ff.[]
  5. BGH, Urteil vom 02.12 2009 – IV ZR 65/09, VersR 2010, 517 Rn. 10; BGH, Beschluss vom 06.06.2012 – IV ZA 23/11, NZI 2012, 762 Rn. 3[]
  6. BAGE 134, 372 Rn. 46 und 48[]