Nur wenn der Versicherungsträger den Bezieher einer Unfallrente vor der Anordnung einer Nachuntersuchung die behandelnden Ärzte befragt hat oder aus allgemeinen medizinischen Erfahrungssätzen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 SGB X eingetreten ist, muss der Rentenbezieher eine Nachuntersuchung hinnehmen.
So hat das Sozialgericht Heilbronn nun im Fall einer Entziehung einer Unfallrente wegen fehlender Mitwirkung entschieden. Eine Nachuntersuchung ist nach § 62 SGB I erst erforderlich, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine wesentliche Änderung nach § 48 SGB X eingetreten ist. Dabei können sich Anhaltspunkte entweder aus einer Befragung der behandelnden Ärzte ergeben – die gegenüber einer gutachterlichen Untersuchung als milderes Mittel erscheint – oder aus allgemeinen medizinischen Erkenntnissen. Zeitablauf allein genügt nicht, um die Erforderlichkeit einer Nachuntersuchung zu begründen.
Als Rechtsgrundlage für die Entziehung der Verletztenrente kommt nur § 66 Abs. 1 S. 1 SGB I in Betracht. Kommt danach derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62 SGB I nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Gemäß § 62 SGB I soll sich der Versicherte auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers ärztlichen und psychologischen Untersuchungsmaßnahmen unterziehen, soweit diese für die Entscheidung über die Leistung erforderlich sind.
Offen bleiben kann, ob die Ermessenserwägungen der Beklagten im Rahmen des Widerspruchsbescheids ausreichend sind, da die von der Beklagten geforderte Untersuchung schon nicht erforderlich nach § 62 SGB I ist. Die Mitwirkungspflicht besteht nur, wenn allein durch die in Aussicht genommene, insoweit geeignete Untersuchung Klarheit über die tatbestandlichen Voraussetzungen der Sozialleistung gewonnen werden kann. In der Ausprägung durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bedeutet dies, dass eine Mitwirkungspflicht nicht besteht, soweit weniger belastende Maßnahmen eine Feststellung der maßgeblichen Verhältnisse erlauben1.
Der Kläger ist bereits deshalb nicht verpflichtet sich untersuchen zu lassen, da die Beklagte bislang keine Befunde der behandelnden Orthopäden zu der Frage eingeholt hat, ob sich die als Folgen des Arbeitsunfalls anerkannten gesundheitlichen Beeinträchtigungen gebessert haben. Die im Rahmen des Verwaltungsverfahrens eingeholten Berichte treffen nur Aussagen zu den unfallunabhängigen Erkrankungen des Klägers. Daher liegt eine den Kläger weniger belastende Maßnahme als milderes Mittel vor, weshalb die gutachterliche Untersuchung nicht verhältnismäßig ist. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Befragung der behandelnden Ärzte nicht sicher einen Erkenntnisgewinn zu der Frage der verspricht, ob sich der gesundheitliche Zustand des Klägers geändert hat.
Solange nicht feststeht, dass der Sachverhalt ohne die Mitwirkung des Klägers nicht aufgeklärt werden kann, darf die Beklagte die Leistung nicht entziehen. Wenn sie der Auffassung ist, die Voraussetzungen liegen unter Umständen nicht vor, hat sie zunächst die ihr im Rahmen der Amtsermittlung zustehenden Erkenntnismöglichkeiten auszuschöpfen. § 62 SGB I greift erst ein, wenn eine weitere Aufklärung des Sachverhalts ohne die Mitwirkung des Klägers nicht mehr möglich ist.
Die Untersuchung ist ferner nicht erforderlich, da bislang kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass eine Besserung der festgestellten Unfallfolgen eingetreten ist2. Bei der Frage der Erforderlichkeit einer Nachuntersuchung sind die Interessen der Versichertengemeinschaft mit den Interessen des Beziehers einer Rente abzuwägen. Die Versichertengemeinschaft soll einerseits davor bewahrt werden, eine Rente zu finanzieren, deren Voraussetzungen zwischenzeitlich nicht mehr vorliegen. Andererseits ist eine körperliche Untersuchung regelmäßig ein Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz geschützte körperliche Unversehrtheit oder jedenfalls in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Versicherten. Daher ist der Versicherte nicht schon zu einer Nachuntersuchung verpflichtet, wenn eine Besserung der Erkrankungen nicht ausgeschlossen ist. Der Zeitablauf allein rechtfertigt keine Untersuchung.
Der Versicherte ist aber immer dann zu einer Untersuchung verpflichtet, wenn ein Anhaltspunkt dafür besteht, dass eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 SGB X eingetreten ist. Ein Anhaltspunkt besteht aber erst dann, wenn zumindest eine die bloße Möglichkeit übersteigende gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Änderung besteht. Es ist hier keinesfalls eine überwiegende Wahrscheinlichkeit zu fordern, da das Ergebnis der Nachuntersuchung offen ist. Es müssen aber Anknüpfungstatsachen dafür vorliegen, dass eine wesentliche Änderung eingetreten sein könnte. Solche Anknüpfungstatsachen können sich zum einen aus einer ärztlichen Stellungnahme ergeben. Der Beklagten ist jederzeit die Möglichkeit eröffnet die behandelnden Ärzte zu einer Besserung der festgestellten Unfallfolgen zu befragen. Eine Anknüpfungstatsache kann sich ferner aus medizinischen Erkenntnissen ergeben, wonach bei bestimmten Erkrankungen häufig mit einer Besserung zu rechnen ist.
Keine dieser Alternativen liegt vor. Aus keinem der im Rahmen des Verwaltungsverfahrens eingeholten ärztlichen Stellungnahmen ergibt sich ein Anhaltspunkt dafür, dass sich die posttraumatische Arthrose gebessert hat. Es gibt auch keine allgemeinen medizinischen Erkenntnisse, dass bei einer posttraumatischen Kniegelenksarthrose mit einer Besserung zu rechnen ist. Im Gutachten wird ausgeführt, dass eine Befundbesserung unwahrscheinlich ist. Diese Einschätzung erscheint verständlich, da eine Kniegelenksarthrose allenfalls schlechter wird. Die Entziehung der Verletztenrente kann aber nicht mit einer möglichen Verschlechterung der Unfallfolgen begründet werden, da jedenfalls eine Rente nach einer MdE von 20 % zu gewähren ist. Insofern hat die Weigerung des Klägers die für ihn nachteilige Folge, dass er keine höhere Rente bekommt, falls zwischenzeitlich eine Verschlechterung seiner posttraumatischen Arthrose eingetreten ist. Eine Mitwirkungspflicht lässt sich hieraus nicht ableiten.
Sozialgericht Heilbronn, Entscheidung vom 8. September 2011 – S 6 U 3471/10