Mit der Auslegung eines „unwiderruflichen Bezugsrechts mit Vorbehalt“ des Arbeitnehmers in einem vom Arbeitgeber für ihn geschlossenen Rentenversicherungsvertrag für den Fall der insolvenzbedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof1 zu befassen.
Im Kern ging es in dem Verfahren um die Frage, ob die Rechte aus den Versicherungsverträgen der Insolvenzmasse zustehen, weil bezüglich des Bezugsrechts noch eine Widerrufsmöglichkeit bestand, oder ob sie zum Vermögen der Arbeitnehmer gehören und ihnen ein Aussonderungsrecht zusteht. Dabei steht das eingeschränkt unwiderrufliche Bezugsrecht einem uneingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrecht in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht gleich, solange die tatbestandlichen Voraussetzungen des vereinbarten Vorbehalts nicht erfüllt sind2.
Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt da im vorliegenden Fall die Arbeitsverhältnisse beendet sind und Unverfallbarkeit der Anwartschaften unstreitig noch nicht gegeben war allein davon ab, ob die Klausel einschränkend dahin auszulegen ist, dass sie die Fälle insolvenzbedingter Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht erfasst.
Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an. Liegt – wie hier – ein Gruppenversicherungsvertrag und damit eine Versicherung zugunsten Dritter vor, so kommt es daneben auch auf die Verständnismöglichkeiten durchschnittlicher Versicherter und ihre Interessen an3.
Dabei werden sowohl die Versicherungsnehmerin als auch die Versicherten zunächst vom Wortlaut der Bedingung ausgehen. Insoweit schließt der Vorbehalt zum Widerruf der Bezugsberechtigung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor eingetretener Unverfallbarkeit der Anwartschaft die Fälle insolvenzbedingter Beendigung „ohne weiteres“ ein, weil der Wortlaut nicht auf den Beendigungsgrund abstellt4.
Hierauf darf sich die Auslegung jedoch nicht beschränken. Auch in Fällen insolvenzbedingter Beendigung ist zu fragen, ob der erkennbare Sinnzusammenhang der Klausel unter Berücksichtigung der Interessen von Versicherungsnehmern und Versicherten eine von einem reinen Wortlautverständnis abweichende Interpretation gebietet.
Insoweit hat der Bundesgerichtshof wie das Berufungsgericht noch zutreffend erkennt schon in seiner früheren Rechtsprechung entscheidend darauf abgestellt, dass dem Arbeitnehmer bei einer nur am Wortlaut orientierten Auslegung die erworbenen Versicherungsansprüche auch in den Fällen entzogen würden, die sich seiner Einflussnahme entziehen und auch sonst nicht seiner Sphäre zuzuordnen sind, sowie dass sich der Arbeitgeber mit dem Vorbehalt auch der weiteren Betriebstreue des Arbeitnehmers vergewissern wolle, wofür es aber genüge, dass der Vorbehalt solche Beendigungsgründe erfasst, die neben der freiwilligen Aufgabe des Arbeitsplatzes auch sonst auf die Person und das betriebliche Verhalten des Arbeitnehmers zurückzuführen sind5. Bei dieser Interessenlage der Arbeitnehmer einerseits und des Arbeitgebers andererseits, die dem Vorbehalt regelmäßig zugrunde liegt, handelt es sich um einen außerhalb des Wortlauts liegenden Umstand.
Maßgeblich für die Auslegung des Vorbehalts ist dabei allein die Interessenlage, wie sie sich im Zeitpunkt der Begründung des Versicherungsschutzes darstellt, so dass die Interessen von Insolvenzgläubigern nach der erst später erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Rolle spielen können.
In der Vorinstanz hatte das Oberlandesgericht Stuttgart6 die Auffassung vertreten, diese Interessenlage sei bereits im Wortlaut der Klausel dadurch hinreichend angesprochen, dass die Versicherten als Arbeitnehmer, die Versicherungsnehmerin als Arbeitgeber und das Versicherungsprodukt als der betrieblichen Altersversorgung dienend benannt sei(en), und hieraus folge, dass sich der beschriebene Interessenkonflikt allein anhand des Wortlautes der Vertragsklausel „ohne weiteres“ entwickeln lasse. Dies trifft nach Ansicht des Bundesgerichtshofs aber nicht zu.
Vielmehr sind der Wortlaut einer vertraglichen Regelung und die Interessenlage der Vertragsbeteiligten zwei unterschiedliche, streng voneinander zu unterscheidende Auslegungskriterien. Dies wird besonders in denjenigen Fällen deutlich, in denen die erkennbare Interessenlage ein vom eindeutigen Wortlaut abweichendes Auslegungsergebnis erfordert. Daran ändert es nichts, wenn sich ein Hinweis auf die maßgeblichen Interessen bereits aus dem Wortlaut selbst ergibt. Dies macht die Interessenberücksichtigung nicht zu einem Teil der Wortlautauslegung.
Die Berücksichtigung vorgenannter Gesichtspunkte bei der Auslegung des Vorbehalts hat das Berufungsgericht ferner auch deshalb zu Unrecht abgelehnt, weil es unzutreffend der Auffassung ist, das im Vorlageverfahren vor dem Gemeinsamen Bundesgerichtshof der Obersten Gerichtshöfe des Bundes herbeigeführte Einvernehmen bedeute eine Abkehr von der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes.
Eine derartige Abkehr hat es weder im Vorlageverfahren vor dem Gemeinsamen Bundesgerichtshof noch danach gegeben. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Stellungnahme im Verfahren vor dem Gemeinsamen Bundesgerichtshof7 im Gegenteil ausdrücklich klargestellt, dass Auslegungsgesichtspunkte außerhalb des Wortlauts, die ein anderes Verständnis gebieten könnten, von seiner Bejahung der präzisierten Vorlagefrage nicht berührt würden, weil diese Frage ausschließlich aufgrund des in der Frage gegebenen Wortlauts zu beantworten sei und beantwortet werde. Damit ist auch in diesem Vorlageverfahren das Primat der Auslegung klargestellt worden, und der Bundesgerichtshof hat danach weiter daran festgehalten, dass es jeweils der Auslegung im Einzelfall bedarf, wann die tatbestandlichen Voraussetzungen eines solchen Vorbehalts erfüllt sind8.
Dies steht ferner nicht im Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Dieses hat vielmehr ebenfalls ausgeführt, dass Umstände außerhalb der Urkunde bei der Auslegung zu berücksichtigen sind und daher eine Auslegung im Einzelfall geboten ist9. Zu diesen Umständen zählt wie dargelegt die das Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers beeinflussende Interessenlage der Vertragsparteien und der Versicherten bei Vertragsschluss. Dagegen wird sein Verständnis vom Inhalt einer versicherungsvertraglichen Bezugsrechtserklärung regelmäßig nicht entscheidend von der ihm in der Regel unbekannten gesetzlichen Bestimmung des § 1b BetrAVG beeinflusst, die dem Arbeitgeber einen Widerruf des Bezugsrechts erst ab Eintritt der Unverfallbarkeit verbietet.
Es ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob unter Berücksichtigung dieser Interessen eine von einem reinen Wortlautverständnis abweichende Interpretation der Bezugsrechtsklausel geboten ist oder ob andere Gesichtspunkte vorliegen, die auch unter Berücksichtigung dieser Interessen ein Festhalten am Wortlaut gebieten.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Januar 2014 – IV ZR 201/13
- im Anschluss an BGH, Urteile vom 08.06.2005 – IV ZR 30/04, VersR 2005, 1134; und vom 03.05.2006 – IV ZR 134/05, VersR 2006, 1059[↩]
- BGH, Urteile vom 08.06.2005 – IV ZR 30/04, VersR 2005, 1134 unter II 2; vom 03.05.2006 – IV ZR 134/05, VersR 2006, 1059 Rn. 10; BAGE 134, 372 Rn. 23[↩]
- BGH, Urteil vom 08.05.2013 – IV ZR 233/11, VersR 2013, 853 Rn. 40 m.w.N; st. Rspr.[↩]
- vgl. die Stellungnahme des BGH im Verfahren GmS-OGB 2/07 vom 21.08.2009, wiedergegeben in BAGE 134, 372 Rn. 44[↩]
- BGH, Urteile vom 08.06.2005 – IV ZR 30/04, VersR 2005, 1134 unter II 3 b; vom 03.05.2006 – IV ZR 134/05, VersR 2005, 1059 Rn. 14 ff.[↩]
- OLG Stuttgart, Urteil vom 16.05.2013 – 7 U 12/13[↩]
- GmS-OGB 2/07, aaO[↩]
- BGH, Urteil vom 02.12 2009 – IV ZR 65/09, VersR 2010, 517 Rn. 10; BGH, Beschluss vom 06.06.2012 – IV ZA 23/11, NZI 2012, 762 Rn. 3[↩]
- BAGE 134, 372 Rn. 46 und 48[↩]