Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bei der Auslegung der Begriffe der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit in Versorgungsbestimmungen regelmäßig von einer Kopplung an das Sozialversicherungsrecht auszugehen1.
Der Arbeitgeber ist zwar nicht verpflichtet, sich am gesetzlichen Rentenversicherungsrecht zu orientieren2. Der Zeitpunkt des Eintritts des Versorgungsfalles muss auch nicht zwingend mit dem Zeitpunkt übereinstimmen, der im Bescheid des Sozialversicherungsträgers angegeben ist, sondern kann im Wege der Vertragsfreiheit auch anderweitig festgelegt werden3. Sieht der Arbeitgeber aber davon ab, die Begriffe der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit selbst zu definieren und den Eintritt des Versorgungsfalles eigenständig festzulegen, will er damit in der Regel die sozialversicherungsrechtlichen Gegebenheiten übernehmen4.
Nach Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes zum 1.01.2001 kann der Arbeitnehmer durch einen Bescheid der Rentenversicherung eine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nicht mehr nachweisen; gemäß § 43 SGB VI nF ist an die Stelle der Rente wegen Berufsunfähigkeit und der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit die Rente wegen Erwerbsminderung getreten. Nach § 43 Abs. 1 SGB VI nF erhalten Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, erhalten nach § 43 Abs. 2 SGB VI nF eine Rente wegen voller Erwerbsminderung5.
Die Rente wegen voller Erwerbsminderung entspricht nach Voraussetzungen und Inhalt der früheren Erwerbsunfähigkeitsrente. Nach § 44 SGB VI aF ist erwerbsunfähig der Versicherte, der wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder ausreichendes Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen. Auch am Rentenartfaktor, der sich nach § 67 SGB VI aF bei Renten wegen Erwerbsunfähigkeit auf 1, 0 belief, hat sich durch das SGB VI nF nichts geändert. Bei Renten wegen voller Erwerbsminderung beläuft sich dieser Faktor nach § 67 SGB VI nF unverändert auf 1, 06.
Ein Erwerbsunfähiger ist stets auch berufsunfähig7. Derjenige Arbeitnehmer, der vollständig erwerbsgemindert iSd. § 43 Abs. 2 SGB VI ist, ist „erst recht“ berufsunfähig iSd. auf das frühere gesetzliche Rentenrecht Bezug nehmenden Versorgungsordnung8.
Daran ändert der Umstand nichts, dass die Erwerbsminderungsrente nach § 102 Abs. 2 SGB VI nF regelmäßig nur befristet geleistet wird9. Nach § 43 Abs. 2 SGB VI nF setzt die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung voraus, dass die Erwerbsminderung auf nicht absehbare Zeit besteht. Gleichwohl werden Erwerbsminderungsrenten gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI nF grundsätzlich befristet geleistet. Die nur befristete Bewilligung der gesetzlichen Rente wegen voller Erwerbsminderung kann der Erwerbsminderung auf nicht absehbare Zeit und damit der Gewährung einer betrieblichen Berufsunfähigkeitsrente daher nicht entgegenstehen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Mai 2016 – 3 AZR 794/14
- vgl. BAG 20.02.2001 – 3 AZR 21/00, zu I 1 der Gründe; 14.12 1999 – 3 AZR 742/98, zu I 1 der Gründe; 24.06.1998 – 3 AZR 288/97, zu B II 1 der Gründe, BAGE 89, 180; 19.04.1983 – 3 AZR 4/81, zu I 1 b (2) der Gründe[↩]
- vgl. BAG 20.10.1987 – 3 AZR 208/86[↩]
- vgl. etwa BAG 14.01.1986 – 3 AZR 473/84, zu II 1 b der Gründe[↩]
- BAG 11.10.2011 – 3 AZR 795/09, Rn. 25[↩]
- BAG 9.10.2012 – 3 AZR 539/10, Rn. 27; 28.06.2011 – 3 AZR 385/09, Rn. 33, BAGE 138, 184; 19.01.2011 – 3 AZR 83/09, Rn. 27, BAGE 136, 374[↩]
- BAG 28.06.2011 – 3 AZR 385/09, Rn. 34, BAGE 138, 184; 19.04.2011 – 3 AZR 272/09, Rn. 29[↩]
- vgl. BAG 20.11.2001 – 3 AZR 550/00, zu I 2 c aa der Gründe; 14.12 1999 – 3 AZR 742/98, zu I 1 c aa der Gründe; BSG 14.03.1979 – 1 RA 27/76; 26.05.1964 – 12/4 RJ 464/61 – BSGE 21, 88[↩]
- vgl. Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto BetrAVG Anh. § 1 Rn. 175[↩]
- Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto BetrAVG Anh. § 1 Rn. 175[↩]