Anforderungen an die zu Recht unterbliebene Anpassung der Betriebsrente

Die Fiktion der zu Recht unterbliebenen Anpassung der Betriebsrente nach § 16 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG kann nur eintreten, wenn der Arbeitgeber dem Versorgungsempfänger in nachvollziehbarer Weise schriftlich dargelegt hat, aus welchen Gründen davon auszugehen ist, dass das Unternehmen voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die Anpassungsleistungen aufzubringen. Die Darlegungen des Arbeitgebers müssen so detailliert sein, dass der Versorgungsempfänger in der Lage ist, die Entscheidung des Arbeitgebers auf ihre Plausibilität zu überprüfen.

Nach § 16 Abs. 1 BetrAVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden. Das bedeutet, dass er in zeitlichen Abständen von jeweils drei Jahren nach dem individuellen Leistungsbeginn die Anpassungsprüfung vorzunehmen hat.

Nach § 16 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, die Anpassung zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen, wenn laufende Leistungen nach Absatz 1 nicht oder nicht in vollem Umfang anzupassen sind (zu Recht unterbliebene Anpassung). Gemäß § 16 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG gilt eine Anpassung als zu Recht unterblieben, wenn der Arbeitgeber dem Versorgungsempfänger die wirtschaftliche Lage des Unternehmens schriftlich dargelegt, der Versorgungsempfänger nicht binnen drei Kalendermonaten nach Zugang der Mitteilung schriftlich widersprochen hat und er auf die Rechtsfolgen eines nicht fristgemäßen Widerspruchs hingewiesen wurde. Die Fiktion der zu Recht unterbliebenen Anpassung tritt nur ein, wenn sich der schriftlichen Information des Arbeitgebers entnehmen lässt, aufgrund welcher Umstände davon auszugehen ist, dass das Unternehmen voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die Anpassungen zu leisten. Die Darstellung der wirtschaftlichen Lage im Unterrichtungsschreiben des Arbeitgebers muss so detailliert sein, dass der Versorgungsempfänger allein durch diese Unterrichtung in die Lage versetzt wird, die Entscheidung des Arbeitgebers auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen1. Dies ergibt eine Auslegung von § 16 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG anhand des Gesetzeswortlauts, der Gesetzessystematik, der Gesetzgebungsgeschichte und des Zwecks der Regelung.

Nach seinem Wortlaut verlangt § 16 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG, dass der Arbeitgeber dem Versorgungsempfänger die wirtschaftliche Lage des Unternehmens darlegt.

Mit dem Begriff der „wirtschaftlichen Lage des Unternehmens“ knüpft § 16 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG an § 16 Abs. 1 Halbs. 2 BetrAVG an2.

Zu § 16 Abs. 1 BetrAVG entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers die Ablehnung einer Betriebsrentenanpassung insoweit zu rechtfertigen vermag, als das Unternehmen dadurch übermäßig belastet und seine Wettbewerbsfähigkeit gefährdet würde. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Arbeitgeber annehmen darf, dass es ihm mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht möglich sein wird, den Teuerungsausgleich aus den Unternehmenserträgen und den verfügbaren Wertzuwächsen des Unternehmensvermögens in der Zeit bis zum nächsten Anpassungsstichtag aufzubringen3. Die Anpassung muss nicht aus der Unternehmenssubstanz finanziert werden4. Demzufolge kommt es auf die voraussichtliche Entwicklung der Eigenkapitalverzinsung und der Eigenkapitalausstattung des Unternehmens an5. Folglich muss der Arbeitgeber für eine ordnungsgemäße Unterrichtung nach § 16 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG zur voraussichtlichen Entwicklung der Eigenkapitalverzinsung und der Eigenkapitalausstattung Stellung nehmen.

Die Ausführungen des Arbeitgebers zur wirtschaftlichen Lage müssen, wie die Verwendung des Wortes „darlegen“ in § 16 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG verdeutlicht, eine ausführliche Erläuterung bzw. Erklärung zur wirtschaftlichen Lage enthalten. Das Wort „darlegen“ steht nach seiner allgemeinen Wortbedeutung für ausführlich erläutern, erklären6. Der Arbeitgeber ist daher gehalten, dem Versorgungsempfänger die voraussichtliche Entwicklung der Eigenkapitalverzinsung und der Eigenkapitalausstattung so detailliert darzustellen, dass der Versorgungsempfänger nachvollziehen kann, weshalb die Anpassung seiner Betriebsrente unterblieben ist.

Dafür sprechen auch die Gesetzesgeschichte und der Zweck der Regelung.

Bei Schaffung des § 16 Abs. 4 BetrAVG durch das Rentenreformgesetz 19997 wollte der Gesetzgeber aus Gründen der leichteren Umsetzbarkeit für die Praxis regeln, unter welchen Voraussetzungen die Anpassung einer Betriebsrente als zu Recht unterblieben gilt. Dabei sollte an die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts angeknüpft werden, nach der es entscheidend auf die wirtschaftliche Situation des Unternehmens ankommt. Die Begründung des Arbeitgebers muss deshalb nach der Vorstellung des Gesetzgebers die maßgebenden Gründe für die Nichtanpassung enthalten, so dass der Versorgungsempfänger die Entscheidung des Arbeitgebers nachvollziehen kann8. Zwar sind an den Inhalt des Schreibens nach § 16 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG keine zu hohen Anforderungen zu stellen9, insbesondere bedarf es keiner so detaillierten Darlegung der wirtschaftlichen Lage, wie sie zu der gerichtlichen Überprüfung einer Anpassungsentscheidung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG notwendig ist. Auch ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber dem Versorgungsempfänger die Bilanzen insgesamt oder sogar darüber hinausgehende Erläuterungen derselben zur Verfügung stellt. Die Information muss jedoch so beschaffen sein, dass der Versorgungsempfänger allein auf ihrer Grundlage in die Lage versetzt wird, die Entscheidung des Arbeitgebers nachzuvollziehen. Nur soweit der Versorgungsempfänger die Ausführungen zur wirtschaftlichen Lage selbst (ggf. auch unter Hinzuziehung eines sachverständigen Dritten) verstehen kann, will das Gesetz die weitreichende Vermutungswirkung des § 16 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG eintreten lassen. Um dem Versorgungsempfänger dies zu ermöglichen, müssen die mitgeteilten Daten so aussagekräftig sein, dass der Versorgungsempfänger die Anpassungsentscheidung des Arbeitgebers auf Plausibilität prüfen kann.

Anknüpfend an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 16 BetrAVG, wonach für eine zuverlässige Prognose zur wirtschaftlichen Belastbarkeit die bisherige Entwicklung über einen längeren repräsentativen Zeitraum von in der Regel mindestens drei Jahren auszuwerten ist10, muss der Arbeitgeber im Unterrichtungsschreiben daher die sich aus den Bilanzen der letzten drei Jahre ergebenden Daten zum Eigenkapital und zur Berechnung der Eigenkapitalverzinsung für jedes zur Prognoseerstellung angezogene Jahr angeben. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber für die seiner Prognose zugrunde gelegten Jahre das jeweils durchschnittliche Eigenkapital11 und dessen Verzinsung – jedenfalls für die hier interessierende Zeit vor Inkrafttreten des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes – auf der Basis der handelsrechtlichen Jahresabschlüsse mitteilt. Stützt der Arbeitgeber die fehlende Anpassungsmöglichkeit auf eine seiner Auffassung nach zu erwartende zu geringe Eigenkapitalverzinsung, so muss er die seiner Prognose zur wirtschaftlichen Belastbarkeit zugrunde liegenden Überlegungen im Unterrichtungsschreiben offenlegen. Nur so wird der Versorgungsempfänger durch die Unterrichtung des Arbeitgebers in die Lage versetzt, dessen Entscheidung zur Nichtanpassung der Betriebsrente nachzuvollziehen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11. Oktober 2011 – 3 AZR 732/09

  1. Doetsch/Förster/Rühmann DB 1998, 258, 263; Vienken DB 2003, 994; ErfK/Steinmeyer 11. Aufl. § 16 BetrAVG Rn. 51[]
  2. vgl. Höfer BetrAVG Stand Juni 2011 § 16 Rn. 5484[]
  3. vgl. BAG 17.04.1996 – 3 AZR 56/95 – zu I 2 a der Gründe, BAGE 83, 1; 31.07.2007 – 3 AZR 810/05, Rn.20, BAGE 123, 319; 10.02.2009 – 3 AZR 727/07, Rn. 13, BAGE 129, 292[]
  4. vgl. BAG 23.05.2000 – 3 AZR 146/99 – zu II 2 der Gründe, AP BetrAVG § 16 Nr. 45 = EzA BetrAVG § 16 Nr. 37; 23.01.2001 – 3 AZR 287/00 – zu 2 der Gründe, AP BetrAVG § 16 Nr. 46 = EzA BetrAVG § 16 Nr. 38; 18.02.2003 – 3 AZR 172/02 – zu A II 2 a der Gründe, BAGE 105, 72[]
  5. vgl. BAG 23.05.2000 – 3 AZR 146/99 – zu II 2 der Gründe, aaO; 10.02.2009 – 3 AZR 727/07, Rn. 13, aaO; 26.10.2010 – 3 AZR 502/08, Rn. 30, AP BetrAVG § 16 Nr. 71 = EzA BetrAVG § 16 Nr. 56[]
  6. vgl. Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden 3. Aufl. Stichwort: „darlegen“[]
  7. Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1999 – RRG 1999) vom 16.12.1997, BGBl. I S. 2998[]
  8. vgl. BT-Drucks. 13/8011 S. 74 Einzelbegründung zu § 16 Abs. 4 BetrAVG[]
  9. so auch Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto BetrAVG 5. Aufl. § 16 Rn. 103[]
  10. vgl. 31.07.2007 – 3 AZR 810/05, Rn.20 mwN, BAGE 123, 319[]
  11. vgl. BAG 23.01.2001 – 3 AZR 287/00 – zu 2 c aa (5) der Gründe, AP BetrAVG § 16 Nr. 46 = EzA BetrAVG § 16 Nr. 38[]