Altersteilzeit – und die tarifliche Abfindung bei vorzeitigem Rentenbeginn

Nach § 6 Abs. 1 des Tarifvertrags zur Förderung von Altersteilzeitarbeit verschiedener Unternehmen des DB Konzerns (KonzernAtzTV) in der ab 01.07.2004 geltenden Fassung erhält ein Arbeitnehmer, der zum Endes des Altersteilzeitverhältnisses das 63. Lebensjahr vollendet hat, eine Abfindung in Höhe von von 6.000, 00 Euro. Die Abfindung dient nach § 6 Abs. 2 Satz 1 KonzernAtzTV ausschließlich der Minderung des Rentenverlustes, den der Arbeitnehmer durch den vorzeitigen Rentenbeginn erleidet. Diese Voraussetzungen erfüllt ein Arbeitnehmer nicht, der nach Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses keine vorzeitige Rente bezieht, sondern eine ungeminderte Altersrente für besonders langjährig Versicherte gemäß §§ 38, 236b SGB VI, denn er muss keinen Rentenverlust durch einen „vorzeitigen Rentenbeginn“ hinnehmen. 

Der Anspruch nach § 6 KonzernAtzTV setzt nicht allein voraus, dass bei Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses ein in Abs. 1 genanntes Lebensjahr vollendet ist, sondern verlangt mit Abs. 2 Satz 1 zudem, dass der Arbeitnehmer durch einen vorzeitigen Rentenbeginn einen Rentenverlust erleidet. Mit § 6 Abs. 2 Satz 1 KonzernAtzTV haben die Tarifvertragsparteien nicht nur den Zweck der Abfindungszahlung bestimmt, sondern zugleich den Kreis der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer begrenzt. Nicht anspruchsberechtigt sind danach Arbeitnehmer, die eine Rente beziehen, die mit Ablauf des Kalendermonats des Erreichens der Regelaltersgrenze oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters – wie die Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach §§ 38, 236b SGB VI – beginnt, denn sie gehen nicht vorzeitig in Rente und müssen keinen Rentenverlust durch Minderung des Zugangsfaktors nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI hinnehmen. Dies ergibt die Auslegung des KonzernAtzTV1.

Für dieses Verständnis spricht nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts bereits der Wortlaut von § 6 KonzernAtzTV.

Die Tarifvertragsparteien haben in § 6 Abs. 2 Satz 1 KonzernAtzTV, wie das SGB VI zB in § 36 Satz 2 SGB VI, § 37 Satz 2 SGB VI, § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI, § 236 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 SGB VI, zur Festlegung der Anspruchsvoraussetzungen auf den Rechtsbegriff des „vorzeitigen Rentenbeginns“ und nicht auf den Begriff der (Regel)Altersgrenze abgestellt2. Bedienen sich die Tarifvertragsparteien eines Rechtsbegriffs, der im juristischen Sprachgebrauch eine bestimmte Bedeutung hat, ist dieser Begriff in seiner allgemeinen juristischen Bedeutung auszulegen, sofern sich nicht aus dem Tarifvertrag etwas anderes ergibt3.

Nach den Bestimmungen des 6. Buches Sozialgesetzbuch4 ist nicht für jede Rente wegen Alters das für die Regelaltersrente maßgebliche Erreichen der Regelaltersgrenze (§ 235 SGB VI) Bezugspunkt für die Feststellung eines „vorzeitigen Rentenbeginns“.

Ob und um welche Zahl von Kalendermonaten eine Rente wegen Alters „vorzeitig“ in Anspruch genommen wird, bestimmt sich, wie § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI zu entnehmen, nach der Differenz zwischen der Regelaltersgrenze für die konkret in Anspruch genommene Altersrentenart und dem tatsächlichen Alter des Versicherten bei Beginn der für diese Rentenart vorgesehenen „vorzeitige(n) Inanspruchnahme“ mit einem niedrigeren Lebensalter. Die Altersgrenzen anderer, für einen Versicherten erst nach dem tatsächlichen Rentenbeginn in Betracht kommender Rentenarten sind ohne Belang5. Wann eine Rente „vorzeitig“ in Anspruch genommen wird, ergibt sich aus den jeweiligen Vorschriften über unterschiedliche Altersrenten, die – wie § 36 Satz 2 SGB VI, § 37 Satz 2 SGB VI, § 236 Abs. 1 Satz 2 SGB VI oder § 237a Abs. 2 Satz 2 SGB VI – dem Versicherten eine „vorzeitige Inanspruchnahme dieser Altersrente“ ermöglichen. Als „vorzeitig“ bezeichnen diese Normen schon ihrem Wortlaut nach jede Inanspruchnahme einer Altersrente vor dem für die jeweilige Altersrentenart ggf. in Abhängigkeit von Geburtsjahr und Geburtsmonat des Versicherten festgesetzten Alter des regelmäßigen Rentenbeginns, also dem Alter, ab dem (grundsätzlich) Anspruch auf diese Rente besteht6.

Arbeitnehmer, die – wie der Arbeitnehmer – Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach §§ 38, 236b SGB VI erhalten, beziehen keine vorzeitige Rente. § 236b SGB VI sieht für Versicherte, die vor dem 1.01.1964 geboren sind, die Möglichkeit vor, Rente bei Erfüllung einer Wartezeit von 45 Jahren bereits zu einem früheren Zeitpunkt als dem für die Rente für langjährig Versicherte in § 236 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI vorgesehenen ohne Minderung des Zugangsfaktors in Anspruch zu nehmen7. Für den Geburtsjahrgang des Arbeitnehmers ist dies ab einem Alter von 63 Jahren und 6 Monaten möglich. Bei diesem Rentenbezug handelt es sich, wie die Vorinstanzen zu Recht erkannt haben, um einen regulären Renteneintritt mit abgesenktem Renteneintrittsalter. Ein vorzeitiger Renteneintritt ist bei dieser Rentenart nicht vorgesehen.

Ein „Rentenverlust“ wegen eines „vorzeitigen Rentenbeginns“ iSv. § 6 Abs. 2 Satz 1 KonzernAtzTV in Gestalt von versicherungsmathematischen Abschlägen kann bei Bezug der Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach §§ 38, 236b SGB VI nicht eintreten.

Der Monatsbetrag einer Rente ergibt sich, indem die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit dem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden (§ 64 SGB VI). Der Zugangsfaktor ist ein Berechnungselement der persönlichen Entgeltpunkte (§ 66 Abs. 1 SGB VI); durch ihn werden nach § 63 Abs. 5 SGB VI Vor- und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer ausgeglichen8. Er richtet sich aufgrund von § 77 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung vom 08.12.2016 ua. nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind (§ 77 Abs. 1 SGB VI). Bei Renten wegen Alters, die mit Ablauf des Kalendermonats des Erreichens der Regelaltersgrenze oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnen, ist der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, 1, 0 (§ 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI). Bei Renten wegen Alters, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, ist der Zugangsfaktor für jeden Kalendermonat um 0, 003 niedriger als 1, 0 (§ 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI; vgl. BSG 17.06.2020 – B 5 R 2/19 R, Rn.19).

Ausschlaggebend für den Zugangsfaktor ist nach dem Wortlaut von § 77 SGB VI das Alter des Versicherten bei Beginn des Bezugs einer bestimmten Rente. § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst a SGB VI knüpft an den durch die Regelungen über die jeweiligen Rentenarten bestimmten Begriff der vorzeitigen Inanspruchnahme von Altersrenten an und gewährleistet auf diese Weise für die gesamte Rentenlaufzeit einen versicherungsmathematischen Ausgleich der längeren Rentenbezugsdauer infolge vorzeitiger Inanspruchnahme einer konkreten Rentenart über die gesamte Rentenlaufzeit9. Der Bezug der Altersrente für besonders langjährig Versicherte (§§ 38, 236b SGB VI) führt nicht zu einer Verringerung des Zugangsfaktors nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI, weil ein vorzeitiger Rentenbeginn für diese Rentenart nicht vorgesehen ist.

Sinn und Zweck von § 6 KonzernAtzTV bestätigen die Auslegung, dass Arbeitnehmer, die eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach §§ 38, 236b SGB VI beziehen, nicht zum Kreis der anspruchsberechtigten gehören. Die Abfindung hat, wie der Tarifvertrag in § 6 Abs. 2 KonzernAtzTV ausdrücklich festlegt, den Zweck, Rentenverluste abzumildern, die durch eine vorzeitige Inanspruchnahme einer gesetzlichen Altersrente nach der Altersteilzeit entstehen. Die Regelung setzt damit einen vorzeitigen Rentenbeginn voraus, denn andernfalls könnte der genannte Rentenverlust nicht eintreten und der mit der Abfindungsregelung verfolgte Ausgleichszweck der tariflichen Leistung nicht erreicht werden. Dementsprechend sollen nur solche Arbeitnehmer einen Abfindungsanspruch erwerben, bei denen mit Beendigung ihres Altersteilzeitarbeitsverhältnisses Rentenabschläge eintreten, die durch den vorzeitigen Rentenbeginn verursacht sind. Solche Rentenverluste treten bei der Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach §§ 38, 236b SGB VI nicht ein.

Auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine andere Auslegung. Entgegen der Ansicht des Arbeitnehmers kann aus § 6 Abs. 2 Satz 2 KonzernAtzTV nicht abgeleitet werden, dass § 6 Abs. 2 Satz 1 KonzernAtzTV lediglich deklaratorische Bedeutung zukommt. Selbst wenn die Tarifvertragsparteien – wie der Arbeitnehmer meint – beabsichtigt hätten, Arbeitnehmern einen steuerbegünstigten Bezug der Abfindung zu ermöglichen, sofern sie den entsprechenden Betrag in eine Gruppenrentenversicherung oder einen Investmentsparplan einzahlen (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 2 KonzernAtzTV), würde diese Anlageform den eigentlichen Zweck der tariflichen Leistung nicht in Frage stellen. Die eigenständige Bedeutung von § 6 Abs. 2 Satz 1 KonzernAtzTV würde – entgegen der Ansicht des Arbeitnehmers – auch nicht in Frage gestellt, wenn durch die Regelung die in § 158 Abs. 3 SGB III vorgesehenen Rechtsfolgen für den Arbeitslosengeldanspruch des Arbeitnehmers vermieden werden könnten. Es handelte sich in diesem Fall lediglich um einen rechtlichen Reflex der tariflichen Regelung.

Eine für den Arbeitnehmer günstigere Auslegung wird auch nicht durch die Tarifgeschichte gestützt. Die Altersrente für besonders langjährig Versicherte gemäß § 236b SGB VI wurde zwar erst nach Abschluss des KonzernAtzTV mit Wirkung zum 1.07.2014 durch das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 23.06.201410 eingeführt. Aus dem Tarifvertrag ergeben sich aber keine Anhaltspunkte dafür, dass § 6 KonzernAtzTV auf das bei seinem Abschluss und nicht auf das bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltende Rentenrecht abstellt. Eine Änderung des Tarifvertrags war bei der vorgenommenen Auslegung nach Inkrafttreten von § 236b SGB VI nicht veranlasst.

Die Arbeitsgerichte sind in einem Fall wie dem vorliegenden auch nicht gehalten, eine Tarifauskunft einzuholen. Eine Tarifauskunft kann im Einzelfall von Bedeutung sein, wenn bei der Auslegung einer Tarifnorm nach Wortlaut, Wortsinn und tariflichem Gesamtzusammenhang Zweifel an deren Inhalt bleiben und eine Tarifauskunft etwa zur Feststellung auslegungsrelevanter Umstände aus der Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags beitragen kann11. Solche Zweifel ergeben sich vorliegend nicht. Zudem darf eine Tarifauskunft nicht auf die Beantwortung der prozessentscheidenden Rechtsfrage gerichtet sein; die Auslegung von Tarifverträgen und tariflichen Begriffen ist vielmehr Sache der Gerichte für Arbeitssachen12.

Die tarifliche Regelung bedarf keiner am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG orientierten Korrektur13, der zufolge Arbeitnehmer, die keine vorzeitige Rente wegen Alters beziehen, Arbeitnehmern gleichzustellen sind, die die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen. Die vom Anwendungsbereich der Abfindungsregelung ausgenommene Gruppe der Arbeitnehmer ist mit der Gruppe der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer nicht vergleichbar, weil bei ihr keine dauerhafte Kürzung der Entgeltpunkte nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI eintritt, die durch eine vorzeitige Inanspruchnahme der gesetzlichen Altersrente nach der Altersteilzeit entstehen und durch die Abfindung nach § 6 KonzernAtzTV ausgeglichen werden soll.

Der Arbeitnehmer erfüllt danach im hier entschiedenen Fall nicht die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Zahlung einer „Abfindung zur Minderung von Rentenverlusten“ nach § 6 KonzernAtzTV. Er gehört nicht zum Kreis der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer, weil er nach Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses keine vorzeitige Rente bezieht, sondern eine ungeminderte Altersrente für besonders langjährig Versicherte gemäß §§ 38, 236b SGB VI. Er musste keinen Rentenverlust durch einen „vorzeitigen Rentenbeginn“ hinnehmen. Soweit der Arbeitnehmer sich auf die von ihm eingereichten Rentenauskünfte bezieht, können diese den geltend gemachten Anspruch nicht stützen. Er verkennt, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, dass die Abfindung in § 6 KonzernAtzTV nicht die Nachteile ausgleicht, zu deren Berechnung der Arbeitnehmer die Rentenauskünfte herangezogen hat. Es bedarf deshalb keiner Erörterung, ob der Arbeitnehmer sonstige Nachteile zutreffend berechnet hat.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Januar 2022 – 9 AZR 248/21

  1. zu den Auslegungsgrundsätzen vgl. BAG 1.12.2020 – 9 AZR 104/20, Rn. 24; 1.12.2020 – 9 AZR 174/20, Rn.20; 11.11.2020 – 4 AZR 210/20, Rn.20 f.[]
  2. zur Auslegung einer hierauf abstellenden tariflichen Regelung: vgl. BAG 19.06.2018 – 9 AZR 564/17, Rn. 16 ff.[]
  3. st. Rspr. vgl. BAG 10.03.2020 – 9 AZR 109/19, Rn. 12; 18.07.2017 – 9 AZR 850/16, Rn. 13; 15.12.2015 – 9 AZR 611/14, Rn. 15[]
  4. SGB VI[]
  5. vgl. BSG 17.06.2020 – B 5 R 2/19 R, Rn. 21; 11.12.2019 – B 13 R 7/19 R, Rn. 17[]
  6. vgl. BSG 11.12.2019 – B 13 R 7/19 R, Rn.19 mwN[]
  7. vgl. BAG 27.02.2018 – 9 AZR 430/17, Rn. 18; BSG 17.06.2020 – B 5 R 2/19 R, Rn. 31[]
  8. vgl. BSG 17.06.2020 – B 5 R 2/19 R, Rn. 18[]
  9. vgl. hierzu im Einzelnen BSG 17.06.2020 – B 5 R 2/19 R, Rn. 23 ff.[]
  10. BGBl. I S. 787[]
  11. vgl. zB BAG 24.02.2010 – 10 AZR 1035/08, Rn. 29 f.[]
  12. st. Rspr. zuletzt zB BAG 27.07.2021 – 9 AZR 449/20, Rn. 26; 12.12.2018 – 4 AZR 147/17, Rn. 44, BAGE 164, 326[]
  13. vgl. BAG 20.11.2019 – 5 AZR 39/19, Rn. 24 ff.; sowie zur Bindung der Tarifvertragsparteien an den allgemeinen Gleichheitssatz BAG 1.12.2020 – 9 AZR 174/20, Rn. 25 f. mwN[]