Ablösung der Richtlinien einer Unterstützungskasse durch Betriebsvereinbarung

Mit einer in der Versorgungszusage enthaltenen dynamischen Verweisung auf die Unterstützungsrichtlinien in ihrer jeweiligen Fassung wird die Möglichkeit für eine Ablösung auf kollektivvertraglicher Grundlage eröffnet, weshalb es für die Änderung der Versorgungsbedingungen keiner Störung der Geschäftsgrundlage bedarf. Damit sind alle Regelungen erfasst, mit denen betriebliche Altersversorgung gestaltet werden kann. Dazu gehören nicht nur vom Arbeitgeber einseitig erstellte Versorgungsordnungen, sondern insbesondere auch Betriebsvereinbarungen1.

Weder eine Jeweiligkeitsklausel noch die Zeitkollisionsregel berechtigten die Betriebspartner zu beliebigen Eingriffen in die Besitzstände der Arbeitnehmer. Sowohl das Gebrauchmachen von einem Änderungsvorbehalt als auch spätere Betriebsvereinbarungen, die Ansprüche aus einer früheren Betriebsvereinbarung einschränken, unterliegen einer Rechtskontrolle. Die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit dürfen nicht verletzt werden. Aus diesen Grundsätzen folgt, dass die Gründe, die den Eingriff rechtfertigen sollen, um so gewichtiger sein müssen, je stärker der Besitzstand ist, in den eingegriffen wird2. Für Eingriffe in Versorgungsanwartschaften hat das Bundesarbeitsgericht die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes durch ein dreistufiges Prüfungsschema präzisiert.

In den unter der Geltung der bisherigen Ordnung und im Vertrauen auf deren Inhalt bereits erdienten und entsprechend § 2 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 BetrAVG ermittelten Teilbetrag kann allenfalls aus zwingenden Gründen eingegriffen werden. Derartige zwingende Gründe können insbesondere bei einer Störung der Geschäftsgrundlage der bisherigen Versorgungszusage vorliegen3.

Rentensteigerungen in der Zukunft, die nicht von der weiteren Betriebszugehörigkeit abhängen4, können aus triftigen Gründen geschmälert werden5. Bei der erdienten Dynamik, die auf dem erdienten Teilbetrag aufbaut, folgt der Wertzuwachs der Anwartschaft allein der künftigen Entwicklung variabler Berechnungsfaktoren. Der Zweck einer solchen dienstzeitunabhängigen Steigerung (Dynamik) besteht nicht darin, fortdauernde Betriebszugehörigkeit des Versorgungsanwärters zu vergüten und zum Maßstab der Rentenberechnung zu machen. Vielmehr geht es darum, einen sich wandelnden Versorgungsbedarf flexibel zu erfassen. Eine solche Dynamik ist im Zeitpunkt der Veränderung einer Versorgungszusage bereits im Umfang der bis dahin geleisteten Betriebszugehörigkeit anteilig erdient, denn insoweit hat der Arbeitnehmer die von ihm geforderte Gegenleistung bereits erbracht6.

Die für einen Eingriff in diesen Teil des Versorgungsbesitzstandes erforderlichen triftigen Gründe hat das Bundesarbeitsgericht ähnlich bestimmt wie die wirtschaftlichen Gründe, die es dem Arbeitgeber erlauben, eine Anpassung laufender Betriebsrenten an die Kaufkraftentwicklung nach § 16 BetrAVG zu verweigern. Ein Eingriff ist möglich, wenn eine Weitergeltung der bisherigen Versorgungsregelung den Bestand des Unternehmens und des Versorgungsschuldners langfristig gefährdet. Dies ist dann anzunehmen, wenn unveränderte Versorgungsverbindlichkeiten voraussichtlich nicht aus den Erträgen des Unternehmens finanziert werden können und für deren Ausgleich auch keine ausreichenden Wertzuwächse des Unternehmens zur Verfügung stehen7.

Die geringsten Anforderungen sind an Eingriffe in künftige und damit noch nicht erdiente dienstzeitabhängige Zuwächse zu stellen. Dafür sind grundsätzlich sachlich-proportionale Gründe erforderlich, aber auch ausreichend.

Sachlich-proportionale Gründe können auf einer wirtschaftlich ungünstigen Entwicklung des Unternehmens oder einer Fehlentwicklung der betrieblichen Altersversorgung beruhen8.

Beruft sich der Arbeitgeber auf wirtschaftliche Schwierigkeiten, so müssen diese nicht das für einen triftigen Grund erforderliche Ausmaß erreicht haben. Eine langfristige Substanzgefährdung oder eine dauerhaft unzureichende Eigenkapitalverzinsung ist nicht erforderlich. Zur Rechtfertigung des Eingriffs bedarf es auch nicht eines ausgewogenen, die Sanierungslasten angemessen verteilenden Sanierungsplans. Ebenso wenig ist es notwendig, dass Maßnahmen zur Kosteneinsparung ausgeschöpft sind, bevor Eingriffe in künftige Zuwächse vorgenommen werden9. Es geht nur darum, die Willkürfreiheit des Eingriffs in noch nicht erdiente Zuwächse zu belegen10.

Allerdings reicht regelmäßig allein der allgemeine Hinweis auf wirtschaftliche Schwierigkeiten nicht aus, um einen sachlichen Grund für einen Eingriff in noch nicht erdiente Zuwächse zu belegen. Vielmehr sind die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Einzelnen substantiiert darzutun. Anderweitige Sanierungsmöglichkeiten müssen zumindest erwogen worden sein und ihre Unterlassung muss plausibel erläutert werden. Maßnahmen, die auf den ersten Blick dem Sanierungszweck offen zuwiderlaufen, müssen erklärt werden und einleuchtend sein11.

Darüber hinaus hat der Arbeitgeber grundsätzlich auch darzulegen, dass die Eingriffe in die Versorgungsrechte in der konkreten Situation verhältnismäßig sind, dass also die Abwägung seiner Interessen an einer Änderung des Versorgungswerks gegenüber den Interessen des Arbeitnehmers an der Beibehaltung der ursprünglichen Versorgungszusage im Ergebnis nicht zu beanstanden ist. Beruft sich der Arbeitgeber auf wirtschaftliche Gründe, so sind sämtliche Maßnahmen darzutun, die unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der Kosteneinsparung zu dienen bestimmt waren. Der Eingriff in das betriebliche Versorgungswerk muss sich in ein nachvollziehbar auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage ausgerichtetes Gesamtkonzept einpassen12. Der Regelungszweck und das Mittel der Kürzung müssen in einem vernünftigen Verhältnis zueinanderstehen13.

Die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der sachlich-proportionalen Gründe ist grundsätzlich Sache des Berufungsgerichts. Sie kann in der Revision nur beschränkt darauf überprüft werden, ob der Rechtsbegriff selbst verkannt, bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter den Rechtsbegriff Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder bei der gebotenen Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt worden sind oder ob das Ergebnis in sich widersprüchlich ist14.

Das vom Bundesarbeitsgericht für Eingriffe in Anwartschaften entwickelte dreistufige Prüfungsschema ist auf Änderungen der Versorgungsregelungen der Beklagten allerdings nicht einschränkungslos anwendbar. Bei der Beklagten handelt es sich um einen steuerbefreiten Berufsverband in der Rechtsform eines nicht eingetragenen Vereins, der nicht am Markt zur Gewinnerzielung tätig ist. Der Beklagten stehen im Wesentlichen nur Beiträge der Mitglieder als Einkünfte zur Verfügung. Darüber hinaus genießt die Beklagte den verfassungsrechtlichen Schutz der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG. Damit hat sie die Freiheit, ihre koalitionspolitischen Aufgaben und die Form, die Art und Weise sowie die Intensität der Aufgabenerfüllung festzulegen. Dies führt dazu, dass es den Gerichten für Arbeitssachen grundsätzlich untersagt ist, die Verwendung ihrer Einkünfte im Einzelnen zu überprüfen oder gar zu bewerten15. Dies gilt es bei der Anwendung des dreistufigen Prüfungsschemas zu beachten. Wird lediglich in noch nicht erdiente, dienstzeitabhängige Zuwächse eingegriffen, reichen deshalb sachliche Gründe aus. Auf die Proportionalität des Eingriffs kommt es – entgegen der Rechtsauffassung des Klägers – nicht an16.

Bundesarbeitsgericht – Urteil vom 12. November 2013 – 3 AZR 510/12

  1. vgl. BAG 12.02.2013 – 3 AZR 414/12, Rn. 46; 18.09.2012 – 3 AZR 415/10, Rn. 26; 18.09.2012 – 3 AZR 431/10, Rn. 32[]
  2. BAG 18.09.2012 – 3 AZR 415/10, Rn. 34 mwN[]
  3. BAG 11.12 2001 – 3 AZR 512/00, zu II 1 der Gründe, BAGE 100, 76[]
  4. erdiente Dynamik[]
  5. vgl. BAG 30.04.1985 – 3 AZR 611/83, zu B II 1 b der Gründe, BAGE 48, 337[]
  6. BAG 12.02.2013 – 3 AZR 414/12, Rn. 64; vgl. auch BGH 14.11.2007 – IV ZR 74/06, Rn. 74 ff., BGHZ 174, 127[]
  7. BAG 12.02.2013 – 3 AZR 414/12, Rn. 65; 11.12 2001 – 3 AZR 512/00, zu II 1 der Gründe, BAGE 100, 76[]
  8. vgl. BAG 11.05.1999 – 3 AZR 21/98, zu III 2 c bb der Gründe, BAGE 91, 310[]
  9. BAG 19.04.2005 – 3 AZR 468/04, zu B II 2 b dd der Gründe[]
  10. BAG 15.01.2013 – 3 AZR 705/10, Rn. 40; 15.02.2011 – 3 AZR 35/09, Rn. 73[]
  11. BAG 15.01.2013 – 3 AZR 705/10, Rn. 41; 15.02.2011 – 3 AZR 35/09, Rn. 74[]
  12. vgl. BAG 17.08.1999 – 3 ABR 55/98, zu B II 4 c der Gründe, BAGE 92, 203[]
  13. vgl. BAG 22.04.1986 – 3 AZR 496/83, zu III 2 b der Gründe, BAGE 51, 397[]
  14. vgl. BAG 16.02.2010 – 3 AZR 181/08, Rn. 55, BAGE 133, 181[]
  15. vgl. BAG 12.02.2013 – 3 AZR 414/12, Rn. 72; 11.12 2001 – 3 AZR 512/00, zu II 3 b aa der Gründe, BAGE 100, 76[]
  16. BAG 12.02.2013 – 3 AZR 414/12, Rn. 72[]