Witwenrente – und die kurze Ehezeit

Gem. § 46 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, u. a. dann Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben.

Nach § 46 Abs. 2a SGB VI, der mit Wirkung vom 01.01.2002 durch das Altersvermögensergänzungsgesetz1 eingeführt worden ist und für alle seit dem 1.01.2002 geschlossenen Ehen gilt (vgl. § 242a Abs. 3 SGB VI), ist der Anspruch auf Witwenrente jedoch ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

Die Anknüpfung an die Ehedauer von weniger als einem Jahr enthält hierbei die gesetzliche Vermutung, dass beim Tod innerhalb dieses Zeitraums die Erlangung der Versorgung regelmäßig das Ziel der Eheschließung war2. Sie kann widerlegt werden, wenn Umstände vorliegen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen lassen, was nach der Gesetzesbegründung zum Beispiel bei einem Unfalltod angenommen wird. Das Merkmal „besondere Umstände“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der von den Rentenversicherungsträgern und den Sozialgerichten mit Inhalt ausgefüllt werden muss und der vollen richterlichen Kontrolle unterliegt3. Darunter fallen alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Es kommt auf die Beweggründe, d.h. Motive und Zielvorstellungen, beider Ehegatten an.

Die Annahme einer Versorgungsehe ist nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Eheleute für die Heirat ergibt, dass andere Beweggründe als die Versorgungsabsicht insgesamt den Versorgungszweck überwiegen oder zumindest gleichwertig sind4.

In der o. g. Entscheidung hat das BSG die Vorschrift als verfassungskonform angesehen und darüber hinaus Folgendes ausgeführt: „Ein gegen die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe sprechender besonderer (äußerer) Umstand i. S. des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Tod des Versicherten, hinsichtlich dessen bisher kein gesundheitliches Risiko eines bevorstehenden Ablebens bekannt war, unvermittelt („plötzlich“ und „unerwartet“) eingetreten ist. Denn in diesem Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, dem Ehegatten eine Hinterbliebenenversorgung zu verschaffen. In der Gesetzesbegründung wird als ein Beispiel hierfür der „Unfalltod“ genannt5. Hingegen ist bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI nicht erfüllt. Jedoch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen war. Dementsprechend steigt mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme („Vermutung“) einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung angeführt werden.“ Die besonderen Umstände müssen außerdem nach § 202 SGG i. V. m. § 292 ZPO mit Vollbeweis belegt werden6.

Sozialgericht Lüneburg, Gerichtsbescheid vom 5. Juni 2014 – S 1 R 18/13

  1. vom 21.03.2001, BGBl I 403[]
  2. vgl. BT-Drs. 14/4595 S. 44[]
  3. vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2009 – B 13 R 55/08 R, m. w. N.[]
  4. vgl. Thüringer LSG, Urteil vom 29.10.2013 – L 6 R 1610/10[]
  5. BT-Drs. 14/4595 S 44[]
  6. vgl. BSG, Urteil vom 03.09.1986 – 9a RV 8/84[]