Gespaltene Rentenformel in der betrieblichen Altersversorgung – und ihre Anpassung

Eine vor dem 1.01.2003 durch Betriebsvereinbarung getroffene Versorgungsvereinbarung, die für den Teil des versorgungsfähigen Einkommens oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung (BBG) höhere Versorgungsleistungen vorsieht als für den darunter liegenden Teil (sog. gespaltene Rentenformel), ist nach der außerplanmäßigen Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze durch § 275c SGB VI zum 1.01.2003 nicht ergänzend dahin auszulegen, dass die Betriebsrente so zu berechnen ist, als wäre die außerplanmäßige Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze nicht erfolgt.

Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in den Urteilen vom 21.04.20091 angenommen, Versorgungsordnungen, die für den Teil des versorgungsfähigen Einkommens oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung höhere Versorgungsleistungen vorsehen als für den darunter liegenden Teil (Versorgungsordnungen mit sog. gespaltener Rentenformel), seien durch die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung um 500, 00 Euro monatlich nach § 275c SGB VI zum 1.01.2003 regelmäßig lückenhaft geworden. Die Regelungslücke sei im Wege ergänzender Auslegung entsprechend dem ursprünglichen Regelungsplan dahin zu schließen, dass die Betriebsrente ohne Berücksichtigung der „außerplanmäßigen“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze berechnet werde und von dem so errechneten Betrag die Beträge in Abzug zu bringen seien, um die sich die gesetzliche Rente infolge höherer Beitragszahlungen erhöht hat.

Diese Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht mit seinen Urteilen vom 23.04.20132 zu Versorgungsregelungen in Gesamtzusagen und Tarifverträgen ausdrücklich aufgegeben mit der Begründung, es bestünden mehrere gleichwertige Möglichkeiten zur Schließung einer eventuellen Regelungslücke; unter Anlegung eines objektiv-generalisierenden Maßstabs lasse sich nicht feststellen, für welche Möglichkeit die Parteien bzw. die Tarifvertragsparteien sich entschieden hätten, wenn sie die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze vorhergesehen hätten. Dies gilt auch für entsprechende Versorgungsregelungen in Betriebsvereinbarungen. Auch Betriebsvereinbarungen sind einer ergänzenden Auslegung nur dann zugänglich, wenn entweder nach zwingendem höherrangigem Recht nur eine Regelung zur Lückenschließung in Betracht kommt oder wenn bei mehreren Regelungsmöglichkeiten zuverlässig feststellbar ist, welche Regelung die Betriebspartner getroffen hätten, wenn sie die Lücke erkannt hätten3.

Vorliegend kommt nicht nur eine Ergänzung der Versorgungsvereinbarung dahin in Betracht, dass bei der Berechnung der Altersrente von einer um die „außerplanmäßige“ Anhebung der durch § 275c SGB VI „bereinigten“ Beitragsbemessungsgrenze unter gleichzeitiger Anrechnung der durch diese Anhebung in der gesetzlichen Rentenversicherung erzielten höheren gesetzlichen Rente auszugehen ist. Vielmehr bestehen unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der in den Ziff. 6 und 7 der Versorgungsvereinbarung getroffenen Regelungen weitere rechtlich zulässige und interessengerechte Möglichkeiten zur Schließung einer etwaigen nachträglich eingetretenen Regelungslücke. Sinn und Zweck einer „gespaltenen Rentenformel“ wie derjenigen in Ziff. 6 und 7 der Versorgungsvereinbarung ist es, den im Einkommensbereich über der Beitragsbemessungsgrenze bestehenden erhöhten Versorgungsbedarf über die hierfür vorgesehene höhere Leistung abzudecken, da dieser Teil der Bezüge nicht durch die gesetzliche Altersrente abgesichert ist4. Deshalb wäre es ebenso denkbar, dass sich die Parteien bzw. die Betriebspartner im Hinblick darauf, dass sich die Auswirkungen der „außerplanmäßigen“ Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze verringern, je später nach dem 1.01.2003 der Versorgungsfall eintritt, auf eine wenige Jahre begrenzte Übergangsregelung für rentennahe Jahrgänge verständigt hätten. Ebenso käme eine Lückenschließung dergestalt in Betracht, dass die Betriebszugehörigkeit bis zum 31.12 2002 und die Betriebszugehörigkeit danach bei der Berechnung des Altersruhegeldes entsprechend der Berechnungsweise aus der „Barber, Entscheidung“ des Europäischen Gerichtshofs5 unterschiedlich behandelt werden6. Danach könnte für bis zum 31.12 2002 erdiente Anwartschaftsteile eine Korrektur der Beitragsbemessungsgrenze um die „außerplanmäßige“ Anhebung zum 1.01.2003 vorgenommen werden, weil insoweit keine Rentensteigerungen in der gesetzlichen Rentenversicherung erreicht werden konnten; für ab dem 1.01.2003 erdiente Versorgungsanwartschaften wäre die erhöhte Beitragsbemessungsgrenze zugrunde zu legen, weil ab diesem Zeitpunkt auch Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben werden. Dies hätte zur Folge, dass für die Berechnung des Teils der Rentenanwartschaft oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze eine Trennung in die Zeit vor dem 1.01.2003 und die Zeit danach vorgenommen werden müsste7.

Der Arbeitnehmer kann auch nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) nicht verlangen, dass seine Betriebsrente so berechnet wird, als wäre die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfolgt. Nach § 313 Abs. 1 BGB kann eine Anpassung des Vertrags verlangt werden, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten; eine Vertragsanpassung kommt allerdings nur in Betracht, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Sollte es sich bei der Versorgungsvereinbarung um eine Betriebsvereinbarung handeln, könnte nicht der Arbeitnehmer, sondern allenfalls der Betriebsrat als Partei der Betriebsvereinbarung eine Anpassung der Versorgungsvereinbarung von der Arbeitgeberin verlangen8.

Sollte es sich bei der Versorgungsvereinbarung um eine Gesamtzusage handeln, käme zwar grundsätzlich ein Anpassungsanspruch in Betracht; eine Vertragsanpassung nach den Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage würde auch nicht von vornherein daran scheitern, dass die Versorgungsvereinbarung der Parteien infolge der „außerplanmäßigen“ Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung durch § 275c SGB VI lückenhaft geworden sein könnte. Eine Vertragslücke stünde der Anwendung der Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage nicht entgegen9. Die durch die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zum 1.01.2003 verursachte Versorgungseinbuße des Arbeitnehmers von ca. 7, 7 % ist jedoch nicht so schwerwiegend, dass ihm ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar wäre.

Nicht jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsabschluss bestehenden oder gemeinsam erwarteten Verhältnisse rechtfertigt eine Vertragsanpassung. Erforderlich ist nach § 313 Abs. 1 BGB vielmehr, dass der betroffenen Partei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Dies kann nur angenommen werden, wenn ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt10.

Das Festhalten an der unveränderten Versorgungsregelung führt für den Arbeitnehmer nicht zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarenden Ergebnis.

Die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung um 500, 00 Euro monatlich und 6.000, 00 Euro jährlich nach § 275c SGB VI führte für den Arbeitnehmer, dessen Altersrente bei Eintritt des in Ziff. 7 Abs. 1 Satz 2 der Versorgungsvereinbarung vorgesehenen Versorgungsfalls 2.186, 36 Euro betrug, zu einer Versorgungseinbuße von ca. 7, 7 %. Ohne die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung durch § 275c SGB VI wäre die vorgezogene Altersrente des Arbeitnehmers unstreitig 182, 78 Euro höher gewesen und hätte sich demnach auf 2.369, 14 Euro belaufen. Diese Versorgungseinbuße ist für den Arbeitnehmer nicht untragbar.

Dabei kann offenbleiben, ob die vom Arbeitnehmer hinzunehmende Versorgungseinbuße entsprechend den Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts in dem Urteil vom 30.03.197311 bis zu 40 % beträgt. In dieser vor Inkrafttreten des § 16 BetrAVG ergangenen Entscheidung hatte das Bundesarbeitsgericht angenommen, dass der Arbeitgeber verpflichtet war, Anpassungsverhandlungen mit dem Arbeitnehmer aufzunehmen, wenn der seit Rentenbeginn eingetretene Kaufkraftverlust 40 % betrug. Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob die Schwelle zur Unzumutbarkeit („Opfergrenze“) bereits früher überschritten und ggf. in Anlehnung an die Rechtsprechung des Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts12 zur Wirksamkeit der Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts zu bestimmen sein könnte. Danach ist ein Widerrufsvorbehalt nicht nach § 308 Nr. 4 BGB unwirksam, wenn der im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende widerrufliche Teil des Gesamtverdienstes unter 25 % liegt und der Tariflohn nicht unterschritten wird; bei Zahlungen des Arbeitgebers, die keine unmittelbare Gegenleistung für die Arbeitsleistung darstellen, sondern Ersatz für Aufwendungen sind, die an sich vom Arbeitnehmer selbst zu tragen wären, kann der widerrufliche Teil der Arbeitsvergütung bis zu 30 % betragen; in diesen Grenzen ist die Änderung der vereinbarten Leistung für den Arbeitnehmer zumutbar iSd. § 308 Nr. 4 BGB. Jedenfalls ist eine Versorgungseinbuße von ca. 7, 7 % auch vor dem Hintergrund, dass die Altersrente nach der Versorgungsvereinbarung Entgelt für Betriebszugehörigkeit ist, nicht so schwerwiegend, dass dem Arbeitnehmer ein Festhalten an der ursprünglichen Vereinbarung nicht mehr zugemutet werden könnte.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. März 2014 – 3 AZR 952/11

  1. BAG 21.04.2009 – 3 AZR 695/08, BAGE 130, 214 und – 3 AZR 471/07; zur Kritik an diesen Entscheidungen vgl. etwa Böhm/Ulbrich BB 2010, 1341, 1342; Bormann BetrAV 2011, 596, 597 ff.; Cisch/Bleeck BB 2010, 1215, 1219 f.; Diller NZA 2012, 22, 23 ff.; Höfer BetrAVG Stand Oktober 2013 Bd. I ART Rn. 816.4 f.; Hölscher/Janker BetrAV 2010, 141, 142 f.; Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto BetrAVG 5. Aufl. Anh § 1 Rn. 224 a ff.; Weber DB 2010, 1642, 1643 f.[]
  2. vgl. etwa BAG 23.04.2013 – 3 AZR 475/11; und 3 AZR 23/11[]
  3. vgl. BAG 13.02.2003 – 6 AZR 537/01, zu II 2 c dd der Gründe, BAGE 104, 353; 10.02.2009 – 3 AZR 653/07, Rn. 31[]
  4. BAG 21.04.2009 – 3 AZR 695/08, Rn. 23, BAGE 130, 214[]
  5. 17.05.1990 – C-262/88, Slg. 1990, I-1889; vgl. auch BAG 3.06.1997 – 3 AZR 910/95, BAGE 86, 79[]
  6. so etwa Weber DB 2010, 1642[]
  7. vgl. hierzu ausführlich Weber DB 2010, 1642[]
  8. vgl. zur Sprecherausschussvereinbarung BAG 23.04.2013 – 3 AZR 512/11, Rn. 38[]
  9. vgl. BAG 23.04.2013 – 3 AZR 475/11, Rn.19[]
  10. BAG 23.04.2013 – 3 AZR 475/11, Rn. 21; BGH 1.02.2012 – VIII ZR 307/10, Rn. 30 mwN[]
  11. BAG 30.03.1973 3 AZR 26/72, BAGE 25, 146[]
  12. BAG 11.10.2006 – 5 AZR 721/05, Rn. 23; 12.01.2005 – 5 AZR 364/04, zu B I 4 c bb der Gründe, BAGE 113, 140[]